Blauer Fleck? Dem Universum ist‘s egal

„Beschiss“: Kurzfilme im Lichtmeß über die Leiden derer, die es geschafft haben und der zugehörigen Jugendlichen

Als 2001 beim Kurzfilmfestival das Programm „Facts and Fakes“ lief, begehrte das Publikum in rauer Menge Einlass. Es war, als sei die Frage nach Schein oder Sein dem Zeitgeist in die offenen Arme gelaufen. In diesen Tagen hat sich unter dem Motto „Beschiss“ eine neue Auswahl von Kurzfilmen aufgestellt, deren Ziel Verwirrung und Verulkung ist und deren Story zwischen Wahn und Wirklichkeit pendelt.

Im Lichtmeß finden sie ihr warmes Zuhause. Zu Hause in Kalifornien hat Corinna Schnitt einige Modell-Athleten der Disziplin „amerikanisches Selbstbewusstsein“ aufgesucht. In Living a Beautiful Life zum Beispiel prallen Sätze wie „Ich bin der beste Kampfpilot“ oder „Wir leben in perfekter Harmonie“ auf die sterile Sauberkeit und pedantische Ordnung der Wohnoberflächen ihrer Wir-haben-es-geschafft-Besitzer, sie echoen in den Besserverdiener-Heimen und dröhnen schließlich in den Ohren des Auditoriums, das nicht weiß, ob es lachen oder weinen, glauben oder zweifeln soll.

Ganz anders stellt sich die Lage in Stuttgart dar, einer Kleinstadt wie jede andere. Im Stile klassischer TV-Aufklärungsberichterstattung wird uns im Film Ankleben verboten das traurige Phänomen einer Jugendbewegung ans Herz gelegt, die ihren Zweck und Rausch im Ankleben der eigenen Hände an Stromkästen findet. Das Bildarsenal des Jugendschutzfilms wird hier mit den Talking Heads von Ärzten, Sozialarbeitern, Betroffenen und Angehörigen inklusive Beerdigung mit Uhu-Kerze ausge- wenn nicht gar überreizt.

Völlig bei sich sind dagegen die Protagonisten in Hajo Schomerus‘ Ich und das Universum. Wenn die Flugbegleiterin auf dem Rollfeld steht und hinter ihr der Jumbo einparkt, ist das ganz großes Kino. Und wenn sie, eingezwängt in die Sitzreihen, über ihre blauen Flecken klagt, die von unprofessionell drapierten Sicherheitsgurten verursacht wurden, ist die Kleinlichkeit des Ichs im Universum unversehens zurückgekehrt. Dieser Film ist in der Tat das heimliche Kleinod des Abends. Denn es ist wirklich winzig, dieses Ich, das für seine Integrität etlicher Tatoos und Piercings bedarf – natürlich angereichert mit tribalistischer Pseudo-Philosophie.

In Dallas im Streifen Delusions in modern primitivism – wiederum dürfen wir einem gut gebauten jungen Mann dabei zusehen, wie er seinem Körper den dernier cri in Sachen body art angedeihen lässt. Eine Schusswunde für 500 bucks, Ziel ist eine Narbe, die sein cooles Outsidertum dokumentiert.

Zum Schluss wird Die kalte Wut des Makalu gezeigt. Das jüngste Werk des Lichtmeß-Punkrockers Carsten Knoop. Ein alpines Doku-Fiction-Drama mit Jens Rachut auf den Spuren von Luis Trenker, eben erst mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ versehen. Der Berg ruft!

Tim Gallwitz

Fr 18.2., 20 Uhr, Lichtmeß