Knockout in Neo-Noir

Ein Film, so lean and mean wie ein guter Fliegengewichtsboxer: „Following“, Christopher Nolans Debütfilm, kommt in die Kinos. In ihm ist bereits alles angelegt, was seine großen Filme „Memento“ und „Insomnia“ auszeichnet

„Das Folgende ist meine Erklärung oder mehr ein Bericht davon, was passiert ist.“ Das Geständnis der Hauptfigur, das den Film eröffnet, ist zugleich die erste falsche Spur, die gelegt wird. Denn zu einer Erklärung der Verwicklungen und Intrigen, in die sich der Einzelgänger Bill (Jeremy Theobald) verfangen hat, reicht sein Verständnis nicht aus. Eine Rechtfertigung wird ihm nicht mehr gelingen; und dass die Fäden, die gezogen wurden, sich längst als Schlinge um seinen Hals gelegt haben, merkt er erst, als es zu spät ist. Dabei war er es, der das Schicksal anderer Leute kontrollieren wollte. Welch pathetische Selbstüberschätzung!

Bill, Thirtysomething, phlegmatischer Möchtegernschriftsteller, Verlierer aus Berufung, weiß so wenig mit sich anzufangen, dass er auf die Idee verfällt, stattdessen das Leben seiner Mitmenschen zu beobachten. Unter dem Vorwand von Recherchen für sein erstes Buch verfolgt er willkürlich Fremde auf den Straßen Londons, kreuz und quer. Aus Laune wird Interesse, wird voyeuristische Obsession, bis er eines Tages an den Einbrecher Cobb (Alex Haw) gerät. Der ist alles das, was Bill nicht ist – gut angezogen, charismatisch und selbstbewusst bis zur Arroganz. Ein Dieb mit einer Philosophie: „Nimm den Menschen etwas weg – und du zeigst ihnen, was sie besessen haben.“ Doch seine einnehmende Art ist wie die weißen Handschuhe, die er zur Arbeit trägt: nur die elegante Hülle eines skrupellosen und gewalttätigen Kriminellen. Und er hat Bill keineswegs aus Zufall getroffen.

„Erzählung ist: die kontrollierte Herausgabe von Informationen.“ So knapp und konzise, wie Christopher Nolan seine Methode beschreibt, hat er auch sein Regiedebüt von 1998 inszeniert, das nun bei uns in die Kinos kommt. Was der Zuschauer erfährt, sind Puzzleteile, chronologisch sprunghaft erzählt, und doch ist die Vorher-Nachher-Struktur des Films kein manierierter Selbstzweck. Nicht barocke Verwirrung, sondern die Ökonomie eines völlig nüchternen Stils. Da erweist sich der Filmemacher dem Strippenzieher Cobb ebenbürtig. Der löst sich in der Schlussszene auch so vollständig auf, als wäre er die ganze Zeit schon weniger reale Figur als treibendes Prinzip gewesen.

Wenn die 70 Filmminuten von „Following“ nicht eine einzige überflüssige Szene enthalten, ist das einem unbedingten Willen zur Informationskontrolle genauso zu verdanken wie den begrenzten finanziellen Ressourcen. Jeder Meter Filmmaterial war teuer erkauft, an verschwenderische Probeaufnahmen war nicht zu denken. Gefilmt wurde on location, in der Privatwohnung der Eltern des Regisseurs oder über den Dächern von London, weil man dort am ungestörtesten war. Sämtliche Darsteller waren Freunde und Bekannte Nolans, die sich die Wochenenden frei nahmen. Das Ergebnis: ein Film wie ein Weltklasse-Fliegengewichtsboxer, lean and mean und kein Gramm Fett zu viel. Ein Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer, mit tänzelnd angetäuschten Haken – und das Knockout trifft hart und präzise.

Was darauf folgte, ist die bekannte Geschichte vom Shootingstar: Als nächsten Film inszenierte Nolan „Memento“, über einen Racheengel mit Gedächtnisverlust, als rückwärts erzählten Film; für seinen Thriller „Insomnia“ rannten ihm die Hollywoodstars bereits die Türen ein, und sein vierter Film ist von den spartanischen Anfängen schon so rasend weit entfernt wie die Stadtansichten in „Following“ vom Postkarten-London für Touristen: „Batman Begins“, der Sommer-Blockbuster dieses Jahres. Nolan ist in der Schwergewichtsklasse des Mainstream-Kinos angekommen. Man kann ihm nur wünschen, dass er in dieser Runde nicht zu Boden geht. DIETMAR KAMMERER