DIE GROSSE HE!DE-SHOW

Am Sonntag will Heide Simonis (SPD) erneut Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein werden. Ihre bisherige Regierungsbilanz ist nicht berauschend. Dennoch hat sie beste Chancen. Wie macht sie das nur?

VON ASTRID GEISLER

Angeblich amtsmüde, skandalgebeutelt, mit fragwürdiger politischer Bilanz, als SPD-Kandidatin sowieso die Buhfrau – viel spricht gegen einen neuen Wahlerfolg von Deutschlands einziger Ministerpräsidentin. Trotzdem steht Heide Simonis in den Umfragen nicht schlecht da. Warum? Die Antwort hat fünf Buchstaben: H E I D E. Heide Simonis ist seit Jahren nicht nur die einzige Ministerpräsidentin der Republik, sondern eines der größten Showtalente und Publikumsliebling der deutschen Politszene. Ein Blick auf die beliebtesten Nummern aus der Großen Heide-Show.

1. Mein Schnoddermaul

Stellen wir uns vor: Angela Merkel lästert über die „junge Gans“, die „Petersilie auf der männlichen Fleischplatte“ oder das „aktive Biest“ – und meint sich selbst. Ein schlechter Scherz? Für Heide nicht. Selbstattacken („Einer meiner Vorfahren muss ein Straßenköter gewesen sein!“) gehören zu ihren Klassikern. Genau wie Randbemerkungen über Lieblingsfeinde wie den Genossen Gerd. Blödmann, Mist, Arschloch – wer Heide ein Weilchen zuhört, versteht auch das Credo: „Provokation bringt Leben in die Bude.“

Lieblingssatz: „Und macht keinen Scheiß!“

Botschaft: Ich bin authentisch, bodenständig, total locker, respektlos, manchmal vielleicht arg unbeherrscht, aber ich mein’s gar nicht so.

Bewertung: Die Schnoddernummer kommt an – denn im Gegensatz zu den meisten Kollegen ist Heide schlagfertig, hat einen so bösen wie guten Humor, Entertainer-Qualitäten und schläfert nicht mit branchentypischen Politfloskeln ein.

Risiko: Neigung zur Dauerwiederholung der Lieblingsgags.

Wählerpotenzial: 651.412 Nichtwähler (bei der letzten Landtagswahl)

2. Mein Sammeltick

Noch nie von Heides Antiquitäten gehört? Kann nicht sein. Mit den Anekdötchen über ihr maßloses Kaffeetassen-, Leinenbettwäsche-, Vasen- und Bügeleisen-Shopping könnte man längst eine Geschichtensammlung bestücken. Ob Homepage oder Autobiografie – eines der Leitmotive ist immer die Flohmarkt-Macke. Was nicht mehr in die Wohnung passt, wird verschenkt, lautet die offizielle Legende: „Wahrscheinlich sagen meine Sicherheitsbeamten oft: Hilfe, die Alte geht wieder zum Flohmarkt, das Zeug kriegen wir zu Weihnachten!“

Lieblingsstory: Wieso ich 1997 mal 14 Brotschneidemaschinen kaufen musste … (Lösung: Kann man doch nicht stehen lassen, wenn sie gerade billig sind.)

Botschaft: Eine wie Heide hat’s nicht nötig, bei Prada zu shoppen, Aldi ist auch okay. Und, wie toll: Heide ist trotzdem nicht geizig, sondern total unbeherrscht.

Bewertung: Netter Tick, lässt es menscheln in der Kieler Staatskanzlei, die Geschichten von Heide und ihren Staubfängern sind aber langsam abgedroschen.

Wählerpotenzial: ca. 220.000 wahlberechtigte Messies in Schleswig-Holstein (nach Expertenschätzung sind etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung vom Messie-Syndrom betroffen)

3. Meine Hüte

Passend zur Vielfalt ihrer Kopfbedeckungen hat Heide sich über die Jahre ein hübsches Sortiment an Geschichtchen über den Sinn eines Huts auf dem Haupt einer norddeutschen Ministerpräsidentin zugelegt.

Lieblingsvarianten: a) Himmel, herrje, dieser Wind! Bevor ihr die „dünnen Haare“ zu Berge stehen, zieht Heide „lieber einen Hut drüber“. b) Himmel, die arme Frisur, aber ein bisschen Glanz muss eben sein, klagt Heide: „Sosehr ich Hüte mag: Es ist nicht besonders schön, wenn man irgendwohin kommt und einem die Haare am Kopf kleben.“

Botschaft: Heide ist zwar gerne mal vulgär, aber trotzdem eine Lady.

Bewertung: Heides Hüte sind Hingucker. Außerdem droht die Nordbrise sie bei jeder Gelegenheit davonzutragen. Praktisch: So gibt’s immer einen Anlass, um – ganz spontan – einen Gag über diese Hüte und das raue Schleswig-Holstein loszuwerden.

Wählerpotenzial: 2.182 Rotarier in Schleswig-Holstein

4. Meine Quilts

Man darf Heide zweifellos als Europas prominenteste Botschafterin der unbekannten Quilt-Kunst bezeichnen. Bei jeder Gelegenheit erzählt die Ministerpräsidentin, wie sie daheim ausspannt: Heide sitzt im Sessel und näht am Fließband Patchworkdecken, die keiner braucht. „Etwas bekloppt“, lautet ihre Selbstkritik.

Lieblingsstory: Wenn Heide mit der Nadel mal wieder besonders fest zusticht, denkt sie an den politischen Gegner: „Dich kriege ich auch noch!“

Botschaft: Ich bin zwar keine Hausfrau, aber irgendwie doch häuslich – auf die exzentrische Art.

Bewertung: Könnte die Wählerschicht der Haus- und Landfrauen begeistern – und natürlich alle Männer versöhnen, denen Heide zu wenig Haus- und Landfrau ist.

Wählerpotenzial: 39.000 organisierte Landfrauen in Schleswig-Holstein

5. Meine Kindheit

Wenn andere ihre Jugendzeit besingen, intoniert Heide zur Abwechslung ein Klagelied. Weil sie statt einer lieben Mutti einen „unzufriedenen“ Drachen daheim hatte, der sie „gängelte“ und ihr immerzu einredete, sie werde es ohnehin zu nichts bringen in diesem Leben. Selbst kolportierter Lieblingssatz aus dieser harten Zeit: „Das wollen wir doch einmal sehen, ob ich in der Gosse lande!“

Botschaft: Ich hab’s vom Aschenputtel zur Prinzessin geschafft.

Bewertung: Solche Kindheiten liebt die SPD-Stammwählerschaft (vgl. Schröders harte Jugend …)

Wählerpotenzial: 23.500 SPD-Mitglieder in Schleswig-Holstein

6. Mein Mann

Udo, der Professor an Heides Seite, ist eine besondere Nummer. Sie durfte den Heiratsantrag machen, seither erträgt er ihre Energieexplosionen, ihre Marotten – und lässt sie Karriere machen. Heides öffentliche Version über das Ehemodell Simonis lautet: Er kann zwar nicht die Waschmaschine bedienen, sie wollte ihm zwar schon mal den Weihnachtsbaum auf den Kopf hauen, sie könnte auch sowieso „auf Dauer mit niemandem eng zusammenleben“ – aber trotzdem ist die „hysterische“ Heide seit Jahrzehnten glücklich mit Udo, ihrem kleinen, „introvertierten“, „schreibtischorientierten“, „diplomierten Hypochonder“ und „Feministen“, der „überhaupt kein Problem“ hat mit ihrer Prominenz. Ehekrach? Na klar. Aber der kann durchaus praktisch sein, wie Heide versicherte: So sei am Anfang der Ehe „wenigstens zweimal im Jahr“ der Schrank perfekt aufgeräumt gewesen, weil sie aus ihren bereits gepackten Koffern „alles wieder ordentlich zurückhängen musste“.

Botschaft: Ich hab ein Privatleben, aber kein spießiges.

Bewertung: Schützt auf jeden Fall vor jener Art von Getuschel, welches Annette Schavan die Chancen aufs Landesmutteramt geraubt hat.

Wählerpotenzial: ca. 640.000 Ehepaare in Schleswig-Holstein

7. Mein Kampf gegen Männer

Dass Heide ein Kämpfertyp ist, dürfte inzwischen jeder begriffen haben. Aber was sind ihre Erfolgsrezepte als Frau „Unter Männern“ (Titel ihrer Autobiografie)? Nicht auf das „Frauenticket“ setzen. Wegstecken, aushalten, aussitzen. („Politik ist der Sieg des Hinterns über das Gehirn“). Männlichen Kollegen bloß keinen Anlass geben, am Äußeren herumzumäkeln („Nicht zu aufdringlich geschminkt sein! Nicht in zu engen Kleidern oder zu kurzem Rock erscheinen!“). Und: Lieber „ein bisschen penetrant“ sein als „zu lieb und zu brav“.

Lieblingssatz: „Eene eenzige Frau regeert dat wunnerschöne Land ganz alleen. Oh ne, dat dörf doch nicht sin!“ (Heide über die entsetzte Reaktion eines „kleinen Bauern“ nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin)

Botschaft: Das schafft nicht jede, ich hab’s geschafft – ohne Quote, ohne Bonus. Und seht her, offenbar wählen selbst Männer mich!

Bewertung: Hier kann sich eine durchsetzen.

Wählerpotenzial: 1.116.900 wahlberechtigte Frauen in Schleswig-Holstein