Der zweitbeliebteste Iraker soll Irak regieren

Iraks Schiiten wollen Ibrahim al-Dschaafari als nächsten Ministerpräsidenten sehen. Er will es allen recht machen

Noch ist es nicht endgültig offiziell, aber hinter vorgehaltener Hand wird Ibrahim al-Dschaafari bereits als neuer irakischer Ministerpräsident gehandelt. Das zumindest verlautet aus Quellen der „Vereinten Irakischen Allianz“, der schiitischen Liste, die aus den irakischen Wahlen mit 49 Prozent der Stimmen als mit Abstand größte Partei hervorgegangen ist und die al-Dschaafari nun hinter verschlossenen Türen für das mächtigste Amt im Staate nominiert haben soll.

Der 58-jährige Arzt hatte in Iraks bisheriger Übergangsregierung das eher zeremonielle Amt des Vizepräsidenten innegehabt. Bei einer Meinungsumfrage, wer der beliebteste Iraker sei, landete al-Dschaafari letztes Jahr auf Platz zwei hinter Großajatollah Ali al-Sistani. Der irakische Premier in spe ließ denn auch in den letzten Tagen keinen Zweifel aufkommen: „Wir wollen eine Verfassung schreiben, die die Komposition des gesamten Irak widerspiegelt und alle irakischen Glaubensrichtungen und Freiheiten respektiert“, ließ er verlauten. Wenngleich er kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen strikt ablehnt.

Die Nominierung al-Dschaafaris macht auch den Wunsch der schiitischen Liste deutlich, sich ein säkulares Gesicht zu geben. Die Verfassung solle sich nicht nur vom Islam inspirieren lassen, erklärte al-Dschaafari unlängst und beschrieb sich auch selbst als jemand, der für die Rechte der Frauen einstehen wolle. Den Einwand, dass die von ihm geführte Dawa-Partei die „Islamisierung der irakischen Gesellschaft“ vorantreiben will und für eine Einführung der Scharia plädiert, verwirft er mit dem Argument, dass Theorie und Praxis nicht immer zusammenpassten.

Der Mann mit sauber getrimmtem Bart und fünf Kindern, die alle in London leben, versuchte bisher einen Mindestabstand von den US-Besatzern zu halten. Unmittelbar nach dem Krieg weigerte er sich, an einem von ihnen initiierten Treffen irakischer Politiker teilzunehmen. Später wurde er von den US-Besatzungsverwaltern zwar in den Übergangsregierungsrat berufen, hielt sich dort aber relativ zurück und weigerte sich, von amerikanischen Bodyguards geschützt zu werden. Doch er ist auch realistisch. „Die Beendigung der Gewalt hat oberste Priorität im Irak, und die ausländischen Truppen sollen so lange bleiben, bis dieses Ziel erreicht ist“, erklärte er zu Beginn der Woche in einem Interview.

In der für Schiiten heiligen Stadt Kerbela geboren, studierte Dschaafari Medizin in Mossul, trat 1966 der Dawa-Partei bei und flüchtete 1980 ins Exil, als seine Partei sich dem militanten Kampf gegen Saddam verschrieb und dessen Geheimdienste einen brutalen Feldzug begannen, dem mindestens 70.000 Parteimitglieder zum Opfer gefallen sein sollen. Al-Dschaafari lebte in dieser Zeit in Syrien und im Iran, bevor er zur irakischen Opposition in London stieß. „Damals waren uns die internationalen Türen noch verschlossen“, sagt er. „Ganz anders als heute.“

KARIM EL-GAWHARY