Ins aufgelassene Schwimmbecken

KUNST Mit der Ausstellung „Red Thread“ eröffnet bei Tanas der Prolog zur 11. Internationalen Istanbul Biennale

Leider fehlt den vielen bei Tanas vorgestellten Arbeiten eine Brecht’sche Schärfe

VON BRIGITTE WERNEBURG

Dass bei Tanas jetzt der Prolog zur 11. Istanbul Biennale eröffnet, hat weniger mit den besonderen Beziehungen Berlin-Istanbul und dem aktuellen Jubiläum der zwanzigjährigen Städtepartnerschaft zu tun.

Sehr viel mehr hat es mit René Block zu tun, der den Raum für zeitgenössische türkische Kunst betreut, der vor einem Jahr in Berlin auf Initiative der Istanbuler Vehbi Koç Foundation entstand. Denn René Block hat mit dem Zagreber KuratorInnen-Kollektiv von What, How & for Whom (WHW), das jetzt für die Istanbul Biennale verantwortlich zeichnet, schon 2005 bei „Kollektive Kreativität“ in Kassel zusammengearbeitet.

Kluger Schachzug

Mit der Ausstellung „Red Thread“ setzen Ivet Curlin, Ana Dević, Nataša Ilić und Sabina Sabolović eine Serie von Podiumsdiskussionen und öffentlichen Vorträgen fort, die unter gleichem Titel zwischen 2008 und 2009 in Istanbul aufgenommen wurden. Der rote Faden der Biennale selbst heißt „What Keeps Mankind Alive?“.

Denn auch die Istanbuler zweijährliche Ausstellung, die vom 12. September bis zum 8. November stattfindet, kommt nicht ohne Motto aus. What, How & for Whom haben es sich aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper von 1928 und der „Ballade über die Fragen: Wovon lebt der Mensch?“ entliehen – und das ist ein kluger Schachzug. Denn damit ist das Motto notwendigerweise schon einmal meilenweit von dem vagen venezianischen „Making Worlds“ entfernt, das verdächtig nach dem PR- und Marketing-Slang eines Neoliberalismus riecht, der gerade seinen Offenbarungseid leistet und dabei einmal mehr Brechts Diktum bestätigt, dass der Verbrecher ein Bürger und der Bürger ein Verbrecher ist.

Leider fehlt dann aber vielen der bei Tanas vorgestellten Arbeiten eine Brecht analoge, polemische und plakative Schärfe. Trevor Paglens Listen mit Worten, die unserem Alltag geheimdienstlich entwendet wurden, Lisa Raskins Installationen zur Paranoia und der Rhetorik des Kalten Krieges in der amerikanischen Politik der Reagan-Ära oder Marina Naprushkinas Machtverteilungsdiagramme im weißrussischen Wahlkampf, bleiben blasse, bemühte Beiträge zur politischen Kartografie zeitgenössischer Kunst. Mutig also und erhellend, KP Brehmers (1938–1998) 42 Diagramme zu „Soul and Feeling of a Worker“ zu zeigen. Als er in den 70er-Jahren begann, Statistiken mit den Mitteln der Kunst zu bearbeiten, bildete seine popkulturelle Volkspädagogik genau den selbstständigen Ansatz, den man heute vermisst.

Allerdings nicht bei Igor Grubić, dessen „East Side Story“ mit ihrem intelligenten Remix von Dokumentation und Re-Enactment überzeugt. Er kombiniert einen Videofilm über Zuschauerreaktionen auf Schwulenparaden in Zagreb und Belgrad mit einem zweiten Video, in dem Schauspieler die zuvor gesehenen Gesten der Verachtung und Gewaltandrohung in isolierten Bewegungsabläufen nachstellen: als ein Tanztheater von eigenem Grusel und eigener Grazie.

Pornografische Stickereien

Und dann fasziniert die eminent politische, formalästhetische Raumeroberungsstrategie von Vlata Horvats Papierschneidekunst. Ausgangspunkt sind DIN-A4-Blätter, die sie so zertrennt, dass ihre Teile gerade noch zusammenhängen, wobei sie sich über das ursprüngliche Format hinaus ausdehnen. Wie mache ich mich groß, und wie zermalmt der Alltag das groß Gedachte?

Von Letzterem handelt Jesse Jones’ Video, eine langsame Kamerafahrt in das aufgelassene Schwimmbecken eines Hallenbads, aus dem plötzlich der „2001 – A Space Odyssey“-Hit, Richard Strauß’ symphonische Dichtung „Also sprach Zarathustra“, ertönt. Geprobt von einer Jugendblaskapelle, wie das Ende der Kamerafahrt zeigt.

Und last, not least stellen What, How & for Whom mit den türkischen Künstlerinnen Canan Șenol und Nilbar Güreș zwei weitere relevante Positionen vor. Beide Künstlerinnen erklären – mit Koranübermalungen sowie pornografischen Stickereien in der Nachfolge von Ghada Amer – der den Frauen vom Islam auferlegten Sittsamkeit den Krieg.

Bis 8. August, Tanas, Heide- straße 50, Di–Sa 11–18 Uhr, www.berlinistanbul2009.org