Atmen gegen die Angst

ZEN Die Modeschöpferin Donna Karan hat mit ihrer Stiftung eine neue Therapie für Schwerkranke entwickelt

■ Donna Karan, 60, ist eine US-amerikanische Modeschöpferin. Als sie 24 war, starb ihre damalige Chefin, die Designerin Anna Klein. Karan stieg von der Assistentin zur Geschäftsführerin auf. 1984 gründete sie mit ihrem zweiten Mann, dem Bildhauer Stephan Weiss, ihr eigenes Modelabel unter dem Namen „Donna Karan New York“. Karan praktiziert Yoga, seit sie 18 ist.

Foto: Jason DeCrow/AP

VON MARLENE HALSER

Wenn Steven versucht zu sprechen, dauert es eine Weile, bis seine Stimmbänder einen Laut hervorbringen. Auch das Schlucken und das Atmen bereiten ihm Mühe. Steven hat Kehlkopfkrebs.

Neben seinem Bett im Beth Israel Medical Center in New York steht eine junge Frau. Vorsichtig schiebt sie ein Kissen unter seinen Rücken. „Spürst du, wie sich dabei dein Brustkorb öffnet?“ Steven nickt, sein Gesicht ist grau. Die Rückenlehne seines Betts ist leicht nach oben gestellt, den Kopf zu heben fällt ihm trotzdem schwer. „Führe deine Handflächen jetzt bitte vor der Brust zusammen“, sagt die Frau ruhig. Steven versucht es. „Beim Einatmen die Arme zur Seite öffnen. Beim Ausatmen schließen.“ Ganz langsam bewegt Steven die Arme im Takt seiner Atmung. Seine Lieder sinken dabei schwer über die Augäpfel.

Alle Sinne nach innen

Shana Kuhn-Siegel, die Frau neben Stevens Bett, ist Yogalehrerin. Sie macht hier in Manhattan ihre Ausbildung zur Integrativtherapeutin, einer besonderen Form der Patientenfürsorge, die es bislang in der westlichen Medizin nicht gab. Sie kümmert sich vor allem um die Kranken, nicht die Krankheit.

Shana und ihre KollegInnen wollen Kranken wie Steven dabei helfen, den körperlichen und seelischen Folgen ihrer Krankheit etwas entgegenzusetzen. Durch die bewusste Anspannung und Entspannung der Muskeln und die Konzentration auf den Atem, Techniken aus der Yogalehre, sollen sie ihre Sinne nach innen kehren und zur Ruhe kommen. Auf diese Weise, so hoffen die Therapeuten, könnten Angst und Schmerzen gemildert werden, auch die Übelkeit, eine häufige Begleiterscheinung der Chemotherapie. Ob das so ist, muss erst eine Studie zeigen, die zurzeit am Beth Israel Medical Center läuft.

Möglich macht diese Therapie die Designerin Donna Karan. Sie hat in ihrem Leben schon unzählige Stunden im Krankenhaus verbracht, die wenigsten davon als Patientin. Vor acht Jahren verlor sie ihren zweiten Mann, den Bildhauer Stephan Weiss. Er starb 2001 an Lungenkrebs. Sieben Jahre lang hatten die beiden gemeinsam gegen die Krankheit gekämpft. Im vergangenen Jahr schließlich starb auch Karans enge Freundin, die Fotografin Lynn Kohlmann, an einem Gehirntumor. Auch sie hat die Designerin bis zum Ende begleitet.

Fünf Jahre nach Stephans Tod hat Donna Karan die Urban Zen Foundation gegründet, zusätzlich spendete sie 850.000 Dollar an das New Yorker Beth Israel Medical Center, das mit ihrer Stiftung kooperiert. Mit dem Geld werden seit Anfang dieses Jahres Krankenschwestern und YogalehrerInnen ausgebildet, die sich um etwas kümmern, was Karans Ansicht nach in der westlichen Medizin zu kurz kommt: die Seele der PatienInnen.

„Wir haben die besten Ärzte und Krankenschwestern der Welt“, sagt Karan, als sie im Mai an einer Yogakonferenz in New York teilnimmt. „Doch die behandeln lediglich die Krankheit und nicht die Patienten.“ Die Sechzigjährige trägt Leggins und T-Shirt, die Haare hat sie zurückgebunden, ihr Gesicht ist ungeschminkt. Mode zu entwerfen ist für sie schon lange zur Nebensache geworden. Als ihr Mann starb, zog sie sich aus dem Geschäft zurück und verkaufte ihr Label „Donna Karan New York“ an das Luxus-Konglomerat Louis Vuitton Moet Hennessy. Heute segnet sie nur noch ab, was andere in ihrem Namen entwerfen.

„Mein Mann Stephan wurde dreimal operiert“, erinnert sich Donna Karan. „Am Anfang haben sie uns gesagt: Wir haben’s. Kein Problem.“ Im Jahr darauf musste er erneut operiert werden. Beim dritten Mal haben die Eheleute dann begriffen, dass es schlecht steht. „Damals sagten mir die Ärzte: Mehr können wir nicht für ihn tun“, erzählt sie. Das Paar wechselte die Ärzte, Stephan wurde in der besten Krebsklinik des Landes behandelt. Vergeblich.

Steven ist zufrieden

Shana Kuhn-Siegels Patient Steve soll es leichter haben. Behutsam unterstützt die Therapeutin ihn bei seinen Übungen. Erst Arme und Hände, dann Schultern und Kopf, schließlich die Beine, zum Schluss die Füße. Nach einer Viertelstunde hat Steven jedes Körperteil einmal bewegt. In den folgenden 15 Minuten wird er lernen, sich tief zu entspannen.

Auch Donna Karan und ihr Mann hätten in dieser Zeit solche Hilfe gebraucht. Ebenso wie die Ärzte und Schwestern. Im Beth Israel Medical Center hat die Designerin deshalb einen kleinen Raum entworfen: „The Sanctuary“, den Zufluchtsort. Einen Raum, wie sie sich ihn womöglich damals gewünscht hätte: Hinter der Schiebetür aus dunklem Holz empfangen gedämpftes Licht, Meditationsmusik und der Geruch von ätherischen Ölen den Besucher. Dreimal am Tag geben hier Therapeuten Yogastunden für die Ärzte und Schwestern. Den Rest des Tages steht er allen anderen offen.

Einige Türen weiter scheint Steven mittlerweile den Großstadtlärm Manhattans vor dem Fenster seines Krankenzimmers vergessen zu haben. Gleichmäßig hebt und senkt sich sein Brustkorb. Als Kuhn-Siegel ihn nach der Entspannung wieder in die Realität zurückholt, sieht er schläfrig aus. Und zufrieden.