Trainer Strunz greift durch

RATIONALISIERUNG Die Ankündigung, langjährige Mitarbeiter beim Hamburger Abendblatt zu entlassen, löst Proteste gegen Chefredakteur Claus Strunz aus

Ein Hamburger Abendblatt wurde erstmals am 2. Mai 1820 verkauft.

■ Das erste Abendblatt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde am 14. Oktober 1948 mit einer Auflage von 60.000 Stück herausgegeben. Verleger Axel Springer erhielt dafür vom Hamburger Senat unter Bürgermeister Max Brauer eine Lizenz – die erste nicht von den Alliierten erstellte Genehmigung für eine deutsche Tageszeitung.

■ Zurzeit erreicht das Hamburger Abendblatt mit einer täglichen Auflage von rund 250.000 Exemplaren etwa 0,77 Millionen Leser.

Die einen nennen es „Qualitätsoffensive“, die anderen „beispiellose Freisetzungswelle“. Abendblatt-Chefredakteur Claus Strunz hat, mit Rückendeckung des Springer-Verlags, zahlreiche Redakteure des Traditionsblatts ab sofort von ihren Aufgaben entbunden. Laut Betriebsrat müssen 26 meist altgediente Mitarbeiter das Stammhaus verlassen, dazu noch einmal sechs Kollegen der Regionalausgaben Ahrensburg, Harburg und Pinneberg. Im Gegenzug sollen 12 neue Mitarbeiter kommen. Verlagssprecher Christian Garrels bestätigte die Pläne, doch sei die kursierende Zahl der betroffenen Mitarbeiter „zu hoch gegriffen“.

Hintergrund der Entlassungswelle ist das Projekt „Abendblatt 3.0“. Alle Redakteure sollen Mitte Juli in den 7. Stock der Hamburger Springer-Zentrale ziehen und dort im Rahmen eines „Newsroom-Konzepts“ ihre Recherchen multimedial aufbereiten: Für den Printbereich, das Internet, die „Mobilverwertung“ und perspektivisch auch in „bewegten Bildern“.

Der Redaktion teilte Strunz laut eines internen Betriebsrats-Papiers mit, dass er der „Trainer der Mannschaft sei“ und künftig nur diejenigen Mitarbeiter „beim multimedialen Zukunftsprojekt 3.0 mitspielen dürften, die er für geeignet halte“. Der Rest müsse „auf der Tribüne Platz nehmen und zuschauen“.

Auf die von Strunz aussortierten und ab sofort freigestellten Redakteure würde, so der Hamburger Geschäftsführer des Deutschen-Journalisten-Verbandes (DJV), Stefan Endter, „Druck ausgeübt, Auflösungsverträge zu unterschreiben“. Denn betriebsbedingte Kündigungen, so Springer-Sprecher Garrels, wolle der Verlag „verhindern und individuelle Lösungen finden“. Endter: „Da vor allem langjährige Redakteure gehen sollen, werden hier alle sozialen Kriterien, die bei Entlassungen eine Rolle spielen, komplett umgedreht.“

Während der DJV seinen Mitgliedern von der Unterzeichnung der Auflösungsverträge abrät und ihnen „vollen Rechtsschutz“ verspricht“, kritisiert der Springer-Betriebsrat die „verharmlosende Fußballersprache“ von Strunz als „unmenschlichen Zynismus“. Er kündigte an, „diese schockierenden, zutiefst kränkenden Ansagen an einen Teil der Belegschaft nicht kampflos“ hinzunehmen.

Die von den Ankündigungen betroffene Abendblatt-Redaktion spricht in einer gemeinsamen Stellungnahme davon, das Vorgehen habe „viele schockiert und ein Gefühl der Ohnmacht erzeugt“. Der Umgang mit den freigestellten Kollegen sei „respektlos“. MARCO CARINI