Zu schrill für diese Welt

Als Freaks verlacht, als Eindringlinge gefürchtet: Das Trio Chicks On Speed trat in der Volksbühne auf – immerhin haben sie sich rechtzeitig in den Post-Punk-Hype eingeklinkt

Ein Ufo über New York. Drei Aliens beamen sich herab, sie wedeln mit den Händen, versuchen, ihre Umgebung zu begreifen. Um nicht aufzufallen, haben sie sich Textilien umgehängt, doch selbst für New York sind sie zu schrill. Während die drei mit spastischen Bewegungen durch die Stadt wandeln – Central Park, Fifth Avenue, Müllhaufen –, weichen ihnen verschreckte Passanten aus, sie werden angehupt, getreten, nachgeäfft. It’s nice to have visitors, doch auf ihrem Crashtest durch New York finden die Aliens andere Freunde: Sie umarmen einen alten Baum, eines von ihnen hat Sex mit einer Motorhaube.

Szenen aus „Visitors“, dem Film, den Chicks on Speed mit der Regisseurin Deborah Schamoni produziert haben und der am Mittwochabend in der Volkbühne erstmals in Berlin gezeigt wurde. Was in „Visitors“ zunächst schwachsinnig, völlig gaga wirkt, liest sich als Metapher für den Stand des Experiments Chicks on Speed im breiteren Kultur- und Popbetrieb: als Freaks verlacht, als Eindringlinge gefürchtet. Am vielsagendsten ist dabei die Choreografie, mit der sich Kiki Moorse, Alex Murray-Leslie und Melissa Logan fortbewegen: drei Schritte vor, einer zurück.

Die Strategie des Trios: Nach dem Erfolg von „Kaltes Klares Wasser“, den Fotoshootings mit Karl Lagerfeld, dem Majorlabeldeal und dem Job als Vorband der Red Hot Chilli Peppers folgt der Rückbau. Die neue LP „Press the Space Bar“, die am Mittwoch ebenfalls vorgestellt wurde, erscheint nicht mehr bei einem Majorlabel, sondern in Eigenregie. Womit das Projekt Chicks on Speed keinesfalls vor dem Scheitern steht: Der Rückzug aus dem Major-Gehege wird davon flankiert, dass sich das Label Chicks On Speed Records mit Musikerinnen wie Angie Reed, Kevin Blechdom, Le Tigre und Ana Da Silva längst als feste Größe im Post-Riot-Grrrlism etabliert hat.

Wie zuvor schon in Electroclash und die Modeszene klinken sich Chicks on Speed auf „Press the Space Bar“ in den aktuellen Hype um Post-Punk ein. Vor kurzem hieß es noch „We Don’t Play Guitars“, nun gilt: Wir lassen spielen. Die Punkband The No Heads aus Barcelona, drei abgerockte, jedes Loser-Klischee erfüllende No Names, helfen dabei. Am Mittwochabend mussten sie Plastiktüten über dem Kopf tragen und die Bühne immer dann wieder verlassen, wenn Chicks on Speed in ihren phosphornen Dada-Kostümen ein älteres Stück performten, wie gehabt mit Laptop-Begleitung. Eine Punk-Band als beliebig aufrufbares Sample, als devoter Abklatsch ihrer selbst. The No Heads erfüllten an diesem Abend die gleiche Funktion wie die Gitarren-behängten Fotomodelle, die Robert Palmer in den Achtzigern in seinen Videos vorführte.

Die Leinwand der Volksbühne wurde derweil zur Image-Müllkippe, dorthin projiziert, traf Karl Lagerfeld auf Nudisten, Soldaten, den Spruch „Proletarier aller Länder vereinigt euch“, die Paris Bar und Tittenmonster von Miami Beach – als habe sich der Chaos Computer Club in einen Satelliten gehackt und alle Kanäle zu einem großen Blabla parallel geschaltet. Eine Medienschrott-Bestrahlung, die das auf den Klappsitzen herumrutschende Publikum so weich brutzelte, dass es zu dem Techno-Beat von „Fashion Rules“ schließlich die Bühne stürmte. Mit „Is Bigger Better?“ folgte dann noch eines der schlauesten Stücke des neuen Albums – auch wieder eine Art Rückbau, anatomisch, ideologisch und wirtschaftlich, das zeigt, dass Chicks on Speed nach Antworten suchen, also noch lange nicht am Ende sind.

Enttäuscht wurden somit wohl nur die Besucher, die allen Ernstes noch mal „Kaltes Klares Wasser“ hören wollten, sowie diejenigen, die irgendwie noch wissen wollten, wie die drei Punkrock-Typen aus Spanien eigentlich heißen. JAN KEDVES