Borussia am Tiefpunkt

Der krisengebeutelte Fußball-Bundesligist teilte gestern mit, in einer „existenzbedrohenden Ertrags- und Finanzsituation“ zu stecken. Das birgt auch Vorteile: Es kann nur noch aufwärts gehen

VON FRANK KETTERER

Am Samstag waren sie wieder losgezogen, um ihrer Wut und Trauer Ausdruck zu verleihen, und auch ihr großes Transparent hatten die gut 1.000 Anhänger von Borussia Dortmund erneut dabei. „Not for sale“, steht auf diesem in schwarzen Buchstaben auf gelbem Untergrund geschrieben, doch so ernst und eindringlich dieser Appell der Fans auch klingen mag, so spät kommt er doch auch. Denn zu verkaufen hat der Ballsportverein schon lange nichts mehr, das Einzige, was er noch besitzt, sind: Schulden. Davon allerdings gleich so reichlich, dass die Kommanditgesellschaft auf Aktien gestern in einer Börsen-Pflichtmitteilung erklärte, in einer „existenzbedrohenden Ertrags- und Finanzsituation“ zu stecken.

Gänzlich neu ist dies vom Prinzip her freilich nicht, letztendlich hat sich die Situation nur noch um ein paar Nuancen verschärft. In Zahlen: Allein für das erste Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres 2004/2005 sei mit einem operativen Verlust von 27,2 Millionen Euro zu rechnen, für das gesamte Geschäftsjahr drohe gar ein Fehlbetrag von rund 68,8 Millionen Euro. Das ist nun wirklich ein sattes Sümmchen, vor allem eingedenk der Tatsache, dass der BVB bereits zuvor einen Schuldenberg von 118,8 Millionen Euro sein letztes Eigen nannte. Wie sehr der Klub tatsächlich in der Klemme steckt, wird schon dadurch deutlich, dass, wie gestern bekannt wurde, in diesem Jahr noch keine Stadionmiete bezahlt wurde, was mit weiteren, wenn auch peanutsmäßig anmutenden 3 Millionen Euro für zwei Monate zu Buche schlägt.

All diese Dinge zusammengefasst, könnte man also sagen, dass dem BVB das Wasser nicht mehr nur bis zum Halse steht, sondern bis Oberkante Unterlippe. Und vielleicht war dies auch der Grund, warum die Kluboberen nun weitaus mehr in die Offensive gegangen sind als bisher. Letztendlich, so jedenfalls hat es den Anschein, hatten sie gar keine andere Überlebenschance mehr. „Borussia hat nun endlich mal klar gesagt, wie es aussieht“, sagte ein Aktienhändler. Sein Urteil: „Schlimmer als befürchtet.“

Und doch, auch wenn es absurd klingt, scheint die Situation mit dem gestrigen Outing sogar wieder etwas hoffnungsvoller geworden zu sein. Weil es erstmals im ganzen BVB-Skandal den Anschein hat, als lägen nun tatsächlich alle Zahlen auf dem Tisch, so rot sie auch seien mögen. Dass sie just eine Woche nach dem Rückritt des ehemaligen Präsidenten und Geschäftsführers Gerd Niebaum bekannt gegeben wurden, ist nun wirklich als andere als Zufall. Niebaum galt stets als der große Vertuscher und Beschwichtiger, die Wahrheit hat er in den letzten Monaten seiner Amtszeit jedenfalls nur selten von sich gegeben. Dass in Hans-Joachim Watzke nun einer der schärfsten Widersacher Niebaums dessen Nachfolge als einer von zwei Geschäftsführern angetreten hat, wird nicht nur in BVB-Kreisen als positives Signal bewertet.

Vielleicht ist der derzeitige Bundesligaelfte gestern tatsächlich am Tiefpunkt angelangt. Was zumindest einen Vorteil mit sich bringt: Im Prinzip kann es nur noch aufwärts gehen, das dafür notwendige Sanierungskonzept liegt auch schon vor. „Wenn wir es diszipliniert umsetzen, wird es den BVB auch in einer durchaus ambitionierten Verfassung weiter geben“, warb Geschäftsführer Michael Meier gestern dafür. Unter anderem vorgesehen ist auch der zumindest teilweise Rückkauf des Westfalenstadions, allein an Miete berappt der BVB derzeit 15 Millionen Euro im Jahr.

Das nötige Kleingeld hierfür könnte der Londoner Finanzinvestor Stephen Schechter liefern, der sich gestern wieder ins BVB-Spiel brachte, nachdem er am Mittwoch noch alle Kontakte abgebrochen hatte. Schechter sagte: „Wir können die Restrukturierung schaffen.“ Stellte dafür aber auch gleich die wichtigste Bedingung: „Der Club muss sich von allem trennen, was nach dem alten Regime von Expräsident Niebaum aussieht.“ Für Michael Meier sind das keine rosigen Aussichten. Für die Borussia hingegen schon.