Keine Wunderkräfte aus dem Meer

Algen werden häufig als Allheilmittel angepriesen. Doch ihre Wirkung wird meistens überschätzt. Problematisch ist auch der hohe Jodgehalt

Algen haben sich in den letzten Jahren zu den Stars unter den Nahrungsergänzungen gemausert. Ihre Anbieter bewerben sie als „Nährstoffbomben“, die praktisch gegen alle Krankheiten helfen könnten, von Herpes über Grippe bis hin zu Windpocken und Mumps. Neben Spirulina- und Braunalgen werden vor allem Afa-Algen verkauft, mit denen nicht wenige Eltern versuchen, die Aufmerksamkeitsstörungen ihrer zappeligen Kinder in den Griff zu bekommen.

Die einschlägigen Bücher und Internetseiten argumentieren gerne mit den zahlreichen wissenschaftlichen Belegen, die zur „Algentherapie“ vorliegen würden. Doch ein Blick auf die tatsächliche Datenlage zeigt: Algen sind beileibe kein Wundermittel, und sie können in hoher Dosierung sogar gefährlich sein. So brillieren die Wasseralgen zwar durch hochwertige Eiweiße sowie beeindruckende Mineralien- und Vitaminwerte, doch ob diese auch in den handelsüblichen Nahrungsergänzungen zum Wohlergehen beitragen, ist fraglich. Es sei vielmehr wahrscheinlich, so die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), „dass die durch täglich eine oder mehrere Tabletten zugeführte Menge an Proteinen, Vitaminen und anderen Nährstoffen nur gering ist“.

Immerhin enthalten einige der essbaren Algen Stoffe, die im Labor die Verbreitung von Viren und Bakterien sowie die Blutgerinnung und das Wachstum von Krebszellen eindämmten. „Doch das bedeutet noch lange keinen Beweis“, warnt Andreas Steneberg vom Allergie-Verein Europa, „für die medizinische Anwendbarkeit beim Menschen.“ Weltweit seien derzeit, so der Ernährungsexperte, etwa 40 Präparate in der klinischen Prüfung, „doch zugelassen ist noch kein Arzneimittel aus Algen“.

Die zu den Blaualgen zählende Afa wird vielfach als Mittel gegen psychische Probleme wie Hyperaktivität und Depressionen gepriesen, weil ihre Polypeptide angeblich Schadstoffe binden und aus dem Gehirn ableiten können. Das arznei-telegramm bezeichnet diese Effekte jedoch als „abstrus“, und auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieht dafür nirgendwo wissenschaftliche Belege. Ganz zu schweigen davon, dass psychische Erkrankungen nur ausgesprochen selten von Vergiftungen herrühren.

Dafür können die blaugrünen Wasserbewohner ihrerseits zu ernsthaften Vergiftungen führen: Amerikanische Gesundheitsbehörden fanden vor einigen Jahren in 85 von 87 gestesteten Proben krebsauslösende Toxine, die von einer Algenart stammen, die eng mit Afa zusammenlebt.

Die Bluegreen GmbH als führender deutscher Afa-Anbieter ging daraufhin mit der Behauptung in die Offensive, dass ihre Ernte gefiltert und in unabhängigen Laboren auf mögliche Rückstände kontrolliert würde. Käme es beim Verzehr dennoch zu Blähungen und Durchfällen, seien dies typische „Zeichen von Reinigung, die genauso während des Fastens oder nach einer langen und intensiven Meditation auftreten können“.

In jedem Falle ist es für einen Mitteleuropäer aus „mineralischer Sicht“ problematisch, wenn er große Mengen an Braun- oder Rotalgen vertilgt. Denn sein Körper ist, im Unterschied zu dem eines Japaners, nicht an die hohen Jodmengen einer maritimen Kost gewöhnt.

Hierzulande gelten bereits tägliche Jodmengen von über 20 Milligramm als gefährlich, weil sie zu einer Überfunktion der Schilddrüse führen können. Die angebotenen Algenprodukte enthalten jedoch bis zu 650 Milligramm Jod auf 100 Gramm Algenmasse. Und der Verbraucher erfährt davon in der Regel nichts – denn auf den Verpackungen fehlt meistens der Hinweis auf den Jodgehalt. JÖRG ZITTLAU