„Wir wollen uns nicht davonstehlen“

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul plädiert für einen Regierungsbeschluss zur Erhöhung der Entwicklungshilfe. Die von Finanzminister Hans Eichel propagierte Kerosinsteuer hält sie für eine „langfristige“ Diskussion

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Warum setzen sich plötzlich so viele Politiker dafür ein, mehr Entwicklungshilfe an die armen Länder auf der südlichen Halbkugel zu zahlen?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Großbritanniens Premier Tony Blair, Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder schlagen das vor, weil die Vereinten Nationen im September überprüfen, ob die Millenniumsziele zur Verringerung der Armut eingehalten werden. Außerdem ist die große Reform der Vereinten Nationen im Gange: Ein größeres Gewicht werden nur Staaten erhalten, die sich auch entsprechend engagieren.

Im Rahmen der UNO-Reform machen sich Kanzler Schröder und Außenminister Joschka Fischer Hoffnungen auf einen Sitz im Weltsicherheitsrat. Will Rot-Grün deshalb beweisen, ein guter Entwicklungshelfer zu sein?

Die schrittweise Erreichung des internationalen Ziels, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden, ist von ganz grundsätzlicher Bedeutung. Denn nur so können wir gemeinsam Armut bekämpfen, Krankheiten eindämmen und Menschen weltweit Gerechtigkeit und Entwicklung ermöglichen. Der Bericht zur UNO-Reform sagt unter anderem auch, dass alle Staaten Zeitpläne vorlegen müssen, wie dieses 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden kann. Ich halte die Absicht der Bundesregierung, dem Weltsicherheitsrat anzugehören, für berechtigt: Denn dort wird ja ständig Völkerrecht geschrieben und über Krieg und Frieden entschieden. Da kommt es darauf an, dass wir unsere deutsche Position zur Konfliktprävention einbringen.

Meint Schröder es ernst, wenn er beim Weltwirtschaftsforum in Davos laut über eine Steuer auf internationale Finanztransaktionen nachdenkt, um zusätzliches Geld für die Entwicklungshilfe zu mobilisieren?

Ich habe mit dem Kanzler vorher darüber gesprochen. Ich bin seit langem dafür, das Bundesfinanzministerium ist traditionell dagegen. Nun ist die Blockade der Debatte in Deutschland aufgehoben.

Hat Finanzminister Hans Eichel seine Position wirklich geändert – oder fordert er nur etwas, das sowieso nicht durchsetzbar ist?

Hans Eichel hat eine internationale beziehungsweise europäische Steuer auf Kerosin für Flugzeuge angeregt. Das ist eine ziemlich langfristige Diskussion. Und selbst, wenn Europa das heute beschließen würde, stünde das Geld nicht in diesem und auch nicht im nächsten Haushalt zur Verfügung.

Also ist die Kerosinsteuer eigentlich keine richtungsweisende Idee?

Ich bin da sehr pragmatisch. Es kommt darauf an, wie am schnellsten zusätzliche Finanzmittel für Entwicklungszusammenarbeit mobilisiert werden. Am besten wäre es, die öffentliche Entwicklungshilfe zu erhöhen – wofür ich mich einsetze. Aber auch der Plan des britischen Finanzministers Gordon Brown ist gut.

Der vergangene G-7-Gipfel der mächtigsten Industriestaaten hat einen Pilotversuch à la Brown beschlossen. Wie funktioniert das?

Die beteiligten Staaten legen Staatsanleihen auf, die am Kapitalmarkt an private Investoren verkauft werden. Dieses zusätzliche Geld wird eingesetzt, um die Millenniumsziele der UNO zu erreichen. Die Anleihen müssen dann aber auch zurückgezahlt werden. Hans Eichel schlägt dafür vor, Einnahmen aus einer künftigen Kerosinsteuer zu verwenden. Das könnte ein Weg sein, aber es gibt noch andere.

Welche konkreten Entwicklungsprojekte sollen mit dem privaten Anleihe-Kapital bezahlt werden?

In der Pilotphase zunächst einmal Impfprogramme in Afrika zur Verringerung der Kindersterblichkeit.

Gibt es denn Aussichten, die öffentliche deutsche Entwicklungshilfe in Zukunft so stark zu erhöhen, wie Sie es gerne hätten?

Allerdings. Alle Fachleute sind sich einig, dass die zur Zeit weltweit jährlich gezahlten Mittel für Entwicklungszusammenarbeit von 68 Milliarden US-Dollar um 50 Milliarden US-Dollar erhöht werden müssen, um künftigen Katastrophen rechtzeitig vorzubeugen. Deutschland ist heute mit sechs Milliarden Euro bei 0,28 Prozent – und hat eine Erhöhung auf 0,33 Prozent bis 2006 zugesagt. Wir wollen uns aber auch in Zukunft nicht davonstehlen.

Wäre die Zeit nun günstig, dafür einen formellen Beschluss des Bundeskabinetts herbeizuführen?

Wir müssen sowieso etwas tun. Denn auch die Europäische Union berät über die nächste Stufe der Erhöhung. Ich wäre froh, wenn es einen Beschluss der Regierung für einen Stufenplan geben würde. Unser Ministerium schlägt vor, bis zum Jahr 2010 die Quote auf 0,5 Prozent zu erhöhen und bis 2014 dann auf 0,7 Prozent.