Bundestag jetzt arbeitslos

Ergreifende Offenheit im Parlament: CDU hält Probleme auf dem Arbeitsmarkt für gar nicht lösbar, SPD will auf Wachstum warten, Grüne fordern halbherzig Reformen

BERLIN taz ■ Das Wort erhielt der Arbeitsmarktexperte der Union. Und er sagte: „Nehmen wir doch einfach mal zur Kenntnis, dass die Probleme des Arbeitsmarkts sich mit Arbeitsmarktpolitik nicht lösen lassen.“ So wenig wie die Kohl-Regierung mit ABM, könne Rot-Grün mit den Hartz-Gesetzen mehr Arbeit schaffen.

Überhaupt ging der Preis für ergreifende Offenheit im Parlament gestern an Karl-Josef Laumann von der CDU. Es war die erste Bundestagsdebatte nach der zwar vor allem statistisch erklärbaren, dennoch schockierenden Zahl „5 Millionen Arbeitslose“. Und Laumann war zum Beispiel der Einzige, der auf einen recht heiklen Punkt im Streit um die Zuverdienstmöglichkeiten von Arbeitslosen hinwies. Hierbei geht es darum, dass Menschen, die vom neuen Arbeitslosengeld II leben, sich ein kleines Zubrot verdienen können und so den Draht in die Berufswelt nicht ganz verlieren.

Zwar hatte die Union im Vermittlungsausschuss diese Möglichkeit gegen null gedrückt. Unionschefin Angela Merkel hat jedoch kürzlich wieder mehr Großzügigkeit signalisiert. Hierbei, sagte Laumann, müsse man aber aufpassen, dass die Kombination aus Unterstützung plus Zuverdienst „nicht höher liegt als die normalen Nettolöhne“.

In bester rhetorischer Laune und mit bluthochdruckfarbenem Gesicht geißelte der neue Arbeitnehmervertreter im CDU-Präsidium die rot-grünen Gentechnik- und Antidiskriminierungsgesetze. „Das passt zurzeit überhaupt nicht in die Landschaft!“ Es verdüstere nur die Stimmung der Unternehmer. Nein, es gehe um die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, für mehr Wachstum. Nur dadurch entstehe Arbeit.

Die Regierungskoalition hatte bei solchen Anwürfen ein erkennbares Problem: Sie hat sich mit ihrer Rechtfertigung der Agenda 2010 derart an gute alte CDU-Standards angeglichen, dass ihr gestern nicht einfiel, was sie sagen sollte. Zumal Rot-Grün die Arbeitslosigkeit nicht leugnen kann, bis zur Wahl 2006 aber nichts Großes mehr geplant hat.

Also folgen SPD und Grüne der Vorwärts-Nichtverteidigung ihres Arbeitsministers Wolfgang Clement. Der kündigte gestern etwas dürr an, die Arbeitslosenzahlen würden im Februar noch „deutlich schlechter“ als im Januar ausfallen. Die Grüne Thea Dückert ächzte unbestimmt: „Die Botschaft ist, wir müssen mit den Reformen weitermachen.“ Als sie dann jedoch Arbeitnehmerrechte wie etwa den Kündigungsschutz gegen die Union verteidigte, klang es, als wollte sie eigentlich das Gegenteil sagen: Fragt mich morgen noch mal, dann fordere ich das Gleiche wie ihr.

Auch der SPD-Arbeitsexperte Klaus Brandner hielt eine ratlose Rede. Merkels Einlenken bei den Zuverdiensten nannte er „Zickzackkurs“. Denn zuvor habe die CDU nur die „Propaganda“ verbreitet, mehr Druck auf Arbeitslose schaffe Arbeitsplätze. Doch war es nicht, als richte der Gewerkschafter diese Worte auch an die Regierungsbank?

Gut, dass Brandner noch einfiel, was die rot-grüne Arbeitsmarktbilanz retten könnte: das Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent im vergangenen Jahr. Dieses Wachstum gelte es „auch 2005 wieder zu erreichen“. Wie die CDU schon sagte.

ULRIKE WINKELMANN