Die hohe Kunst des Schlichtens

Der Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Gessenharter und der ehemalige Bremer CDU-Fraktionschef Peter Kudella diskutierten über ihre ganz unterschiedlichen Wege, erfolgreich städtebauliche Streitigkeiten zu schlichten

Wie schlichtet man Streitigkeiten zwischen Städteplanern und Anwohnern wie den um die Bebauung der Pauliner Marsch oder den Autobahntunnel für die A 281 in Seehausen? „Ohne die Öffentlichkeit“ – sagt der ehemalige Fraktionsvorsitzende der bremischen CDU, Peter Kudella. „In der Öffentlichkeit“ – sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Gessenharter, Professor an der Bundeswehr-Universität in Hamburg.

Beide wissen, wovon sie sprechen: Kudella leitet derzeit das Moderationsverfahren in Sachen Weserquerung in Seehausen und hat zuvor im Konflikt um die Schwarzbauten im Waller Fleet oder die Wagenburg am Weidedamm vermittelt. Gessenharter bemüht sich in diesen Tagen, im Streit um die Bebauung der Pauliner Marsch eine Einigung der verschiedenen Interessengruppen auszuhandeln. Zwar will auch der Politologe sich nicht zum aktuellen Stand seines Verfahrens äußern – die Gespräche stünden „kurz vor dem Abschluss“, entschuldigt er sich. Dennoch betont Gessenharter, dass man in einem Streit wie dem um die Pauliner Marsch nur dann „öffentliche Vernunft“ herstellen könne, wenn man niemanden aussperre. Zumal der Beitrag der Bevölkerung an einem Durchbruch „gar nicht hoch genug einzuschätzen“ sei. Es sei längst nicht immer Sache der Experten, innovative Wege aufzuzeigen. „Die Menschen müssen sehen, dass hier etwas geschieht – dann machen sie auch mit.“ Nur so ließen sich dauerhaft haltbare Kompromisse finden, die hernach niemand anzweifle.

Kudella sieht das etwas anders – und verweist dabei ausgerechnet auf seine politische Vergangenheit als Fraktionschef: Ein undemokratisches Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit habe sich immer als „praktikabel“ erwiesen, sagt Kudella. Dazu gehöre auch, dass sich außer ihm selbst niemand der Beteiligten zum aktuellen Stand der Dinge äußern dürfe, schon gar nicht gegenüber der Presse. „Damit gab es bisher keine Probleme.“ Bürgerversammlungen wie einst in Walle mit mehr als 450 Menschen im Saal sind Kudella ein „Horror“. Moderationsverfahren seien nur in einem überschaubaren Kreis von maximal 50 Leuten möglich, mehr als sieben verschiedene Meinungen dürften an einem runden Tisch nicht vertreten sein. Gessenharter hingegen hat es derzeit mit 60 Kontrahenten zu tun – und er traut sich auch zu, in noch größeren Gruppen einen erfolgreichen Abschluss zu erzielen. Trotzdem könne immer nur eine kleine Gruppe der Betroffenen beteiligt sein: In der Pauliner Marsch gehe es um insgesamt 40.000 Menschen, eine repräsentative Zusammensetzung eines runden Tisches sei da „unmöglich“.

Seine eigene Rolle beschreibt Gessenharter dabei nur als die eines „Notars“, inhaltlich einbringen mag er sich selbst nicht. Der Wissenschaftler sieht sich allein als Unterhändler, vertraut auf die Macht der Zeitnot und die disziplinierende Kraft der Öffentlichkeit. Und so lässt er auch alle wüsten Beschimpfungen mitprotokollieren und mit Hilfe eines Videobeamers an die Wand projizieren. „Das hilft immer“, so die Erfahrung Gessenharters, der in Hamburg bereits mehrere große Bürgerbeteiligungsprojekt moderiert hat. CDU-Mann Kudella hingegen ergreift auch als Streitschlichter schon mal Partei, gibt er zu – die Zurückhaltung des Wissenschaftler liege ihm fern. Das diene der „Befriedigung“ der Widersacher. Und dem eigenen Ego. „Im Regelfall hat sich das bewährt.“

So oder so: Beide Moderatoren können auf mehrere erfolgreich abgeschlossene Verfahren zurückblicken. Ihre unterschiedliche Herangehensweise tut dem offensichtlich keinen Abbruch.

Jan Zier