Lauter auf der Nase liegende Holländer

Zweitligist Alemannia Aachen heimst beim hingebungsvollen Auftritt im Uefa-Cup-Hinspiel gegen AZ Alkmaar Lobein für „völlig undeutsches Spiel“, muss nach dem 0:0 jedoch stark um den Einzug in das Achtelfinale bangen

KÖLN taz ■ Alkmaars Angreifer Stein Huysegems war nach dem 0:0 „sehr erleichtert und zufrieden“. Diese Aachener hätten sein Topteam „zu mehr Fehlern als sonst“ gezwungen und es hätte durchaus „noch schlimmer kommen können“. Aachens Stürmer Kai Michalke war derweil schlicht „stolz auf uns“: „Wir haben einer starken Mannschaft wirklich alles abverlangt.“

Dass es nicht zum Sensationssieg des Zweitligisten gereicht hatte, lag auch an einem höchstens golfballgroßen Stück Grasnarbe am 16-Meter-Raum vor der Südtribüne, das irgendwer irgendwann im Laufe des hingebungsvollen Kampfspiels ausgegrätscht hatte. Tatsache war: Als Aachens Daniel Gomez in Minute 76 zum fein gezirkelten Schlenzer ansetzte, hüpfte der Ball im letzten Moment genau auf dieses Stückchen Müngersdorfer Wiese und flog dadurch eine Handbreit über den verwaisten Torwinkel. „Nach der Pause“, so Michalke, „da hatten wir sie doch fast.“

Aachen war im Ausnahmezustand gewesen. Die halbe Stadt befand sich auf Pilgerreise ins Europarefugium Köln, weshalb in der verwaisten Heimat Ratssitzungen vertagt wurden, das „Gründungstreffen Keine Nazis in den Landtag“ auf 18 Uhr vorgezogen war und ansonsten nur noch Veranstaltungen wie „Frauen lesen die Bibel“ stattfanden. 38.038 Zuschauer bedeuteten Allzeit-Clubrekord für ein Heimspiel, bislang lag die Bestmarke bei 35.000 aus einem Oberligaspiel 1958 gegen Schalke 04. Und dieses Schalke wäre, so das Auslosungstableau, Gegner im Achtelfinale.

Wunderdinge erzählte man sich vorher über Hollands Überraschungszweiten AZ Alkmaar, eine offensive Offenbarung mit dem derzeit, so Altmeister Johan Cruyff, neben Barcelona begeisterndsten Fußball in Europa. Im Kölner Stadion spielte Alkmaar mit dem durchtriebenen Einfädler Danny Landzaat technisch versiert, flink, variantenreich und beängstigend ballsicher – aber nur in der eigenen Hälfte. Es fehlten Tordrang und Durchsetzungsvermögen gegen den bestens organisierten Gegner mit einem spektakulären Torwart Stephan Straub.

Alemannias Alphatier Erik Meijer hatte gegen die quicken Gegner empfohlen „noch etwas forscher zur Sache zu gehen“. Denn der 35-jährige Heimat-Ethnologe wusste: „Ein schneller Holländer, der auf der Nase liegt, ist nicht schnell.“ Und die Alemannen hatten ihrem Kapitän brav gehorcht. Insbesondere Thomas Stehle, den sie „die Axt“ nennen, langte mehrfach hin, als wolle er den Gesamtbestand niederländischer Nadelbäume zu Kleinholz machen. Meijer setzte seinen Spruch sogar bei sich selbst ein, blieb nach eigener Grätsche lange liegen und humpelte mit anschwellendem Klumpfuß die letzten Minuten nur noch über den Platz. Spielentscheidender: AZ-Verteidiger Barry Opdam wehrte in der 52. Minute den Ball gleich zweimal mit der Hand ab. Der Elfmeterpfiff des griechischen Hoyzer blieb aus.

Das bemerkenswerteste Lob kam von AZ-Coach Co Adriaanse. „Völlig undeutsch“ hätte dieses Aachener Deutschland gespielt. Der freundliche Mann mit dem altdeutschen Haarschnitt erläuterte das Undeutschtum: „Sehr klug nach vorne, variabel, mit vier Angreifern, wo in Deutschland sonst nicht mal drei Spitzen üblich“ seien. Aachens Kollege Dieter Hecking freute sich: „Klingt gut, so ein Lob.“

Dennoch: In den fünf Spielen 2005 ist der Alemannia, in der Hinserie das angriffsstärkste Team im deutschen Profifußball, noch nicht ein einziges Tor aus dem Spiel heraus gelungen – und die Stimmung der Rekordkulisse war gedämpfter gewesen als es den 4,64 Millionen ARD-Zuschauern vorgekommen sein mag. Beim Rückspiel kommende Woche in Alkmaar brauchen sie jetzt einiges von jenem deutschen Dusel, den die Holländer am Donnerstag hatten.

Erik Meijer mutiert deshalb sogar schon zum Wahldeutschen: „Nichts ist schöner als gegen die Scheiß-Holländer zu gewinnen.“ Die heiß geliebten Podolskis von nebenan hatte er vergessen. Denn wer aus Alemannia Aachens humpelnder Printenbrigade überhaupt dabei sein kann im morgigen Aufstiegs-Weichenspiel der Liga gegen den 1. FC Köln, war gestern noch völlig unklar. Sportdirektor Jörg Schmadtke droht dem FC allerdings: „Die sollen sich nicht zu früh freuen. Wir werden mit elf Mann auflaufen.“ Und Trainer Dieter Hecking sagt: „Das ist das wichtigere Spiel.“

BERND MÜLLENDER