Im Unbewussten bohren

NEUE MUSIK, ALTES STÜCK Am Sonntag wurde an der Komischen Oper die von Christian Jost komponierte Oper „Hamlet“ uraufgeführt

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Wie schön, dass endlich auch einmal neue Musik an einer Berliner Oper zu hören ist, es kommt selten genug vor! „Neu“ zumindest in der elementaren Bedeutung des Wortes, dass sie noch nie zu hören war, weil sie neu komponiert worden ist. Warum aber musste es unbedingt „Hamlet“ sein, das ewige Stück von Shakespeare, das Legionen von Interpreten, Darstellern und Regisseuren beschäftigt hat?

Die Frage stellt sich nach der Uraufführung von Christian Josts Version des „Hamlet“-Stoffes sehr wohl. Denn wer dazu neue Musik schreiben will, muss auch etwas Neues zu „Hamlet“ zu sagen haben. Sonst kann es passieren, dass die neue Musik gar nicht so neu klingt. Enttäuscht und matt, wenn auch freundlich, klang deshalb der Schlussapplaus des Publikums, das sich gerade in Komischen Oper sehr bereitwillig auf alle möglichen ästhetischen Abenteuer einlässt. Aber da war nichts. Christian Jost ist ohne Zweifel ein sehr guter, fleißiger und sorgfältiger Musiker. Alles, was er für seinen Hamlet komponiert hat, klingt prägnant, klar, verständlich und reizvoll für das Gehör. Er beherrscht das gesamte Vokabular seit Schönberg und Boulez und kann damit sehr wohl eigene musikalische Gedanken formulieren. Es wäre sehr brauchbare neue Musik für das Theater – wenn es denn eines gäbe.

Weiße Menschen

Leider hatte Jost nicht den Mut, einen Librettisten zu bitten, ihm einen Text zu schreiben. Stattdessen hat er sich aus der Schlegel’schen Übersetzung des „Hamlet“ die schönsten Stellen herausgesucht und sie zu zwölf Szenen montiert. Er selbst meint mit gewissem Recht, sie könnten in beliebiger Reihenfolge aufgeführt werden, weil es ihm um das „Verstricktsein“ in „Geschehnisse“ geht, die wir nur als „Ganzes“ erleben.

So weit wollte Andreas Homoki, der Hausherr, der das Auftragswerk auch selbst inszeniert hat, nun doch nicht gehen und hielt sich einigermaßen an Shakespeares Handlungsfaden. Um dem Jost’schen Bohren in den Abgründen des Bewusstseins gerecht zu werden, hat der Bühnenbildner Wolfgang Gussmann einen gewaltigen Drillbohrer entworfen, der sich vom Bühnenhimmel herab durch ein Loch in einer ebenso riesigen, raumfüllenden Scheibe hindurch bis in den Keller gräbt. Er lässt sich als Wendeltreppe bespielen. Alles ist in gleißend abstrahierendes Weiß getaucht, auch die Kostüme der Figuren, mit Ausnahme der verschiedenen Chorgruppen, die der Drillbohrer gelegentlich aus der Tiefe heraufquellen lässt: Sie sind ganz und gar schwarz, auch ihre Gesichter, und schwer symbolische Vertreter des freudschen Unbewussten, das bei Jost erstaunlicherweise so sprachbegabt ist, dass es ganze Teile des Monologs über das Sein und das Nichtsein und auch noch die Rede des Vatergeistes flüsternd singen kann.

Das ist alles gut gemeint und eine Weile schön anzuschauen. Nach einer längeren Weile aber beginnt man dahinzudämmern. Und wenn man wieder aufwacht, stellt man überrascht fest, dass sich nichts geändert hat. Weißer Bohrer, weiße Scheibe, weiße Menschen oben, schwarze Gedanken unten, farbige Musik dazwischen. Gut gesungen und gut gespielt vom Orchester unter seinem Chefdirigenten Carl St. Clair, aber was ist nun los mit diesem dänischen Prinzen?

Schwarze Gedanken

Jost hat seine Kompilation klassischer Sentenzen aus seinem Munde für die Stimmlage eines Mezzosoprans gesetzt. Er ist also eine Frau, da sie aber in (weißer) Männerkleidung steckt, ist daraus kein Hinweis für irgendeine interpretatorische These zu entnehmen. Shakespeares Sätze sind ständig zu hören und auf den Bühnenseiten auch zu lesen, aber er bleibt seltsam stumm, unendlich entfernt von jeder denkbaren Gegenwart, seiner eigenen wie der unseren. Besetzt ist die Titelrolle an der Komischen Oper mit Stella Doufexis, die hier schon wirklich Großes geleistet hat. Zufälligerweise ist sie die Ehefrau des Komponisten. Sie singt auch jetzt sehr eindrucksvoll, was auf ein erfreulich harmonisches Eheleben schließen lässt, aber umso mehr die Frage aufwirft, warum es auf der Bühne stattfinden muss?

Es war ein Auftragswerk, wofür man die Komische Oper in jedem Fall loben muss. Eine neue Oper ist es nicht geworden. Und wenn es schon um Psychologie geht, ist die These vertretbar, dass Josts „Hamlet“ die Angst ausdrückt, sich auf Shakespeares Stück tatsächlich einzulassen.

■ Nächste Aufführungen: 2., 7., 12., 19. Juli