Otto Schily ist Teil der Visa-Affäre

Der Bundesinnenminister kämpft gerne laut für Law and order. In der Visa-Affäre seines Kabinettskollegen Joschka Fischer war Schily ziemlich still, obwohl er früh von massenhaftem Visamissbrauch wusste – und sich ständig weiter informieren ließ

VON CHRISTIAN FÜLLER

An Otto Schily (SPD) halten sich die Konservativen gerne, wenn ihnen Rot-Grün mal wieder zu lasch ist. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) etwa schrieb einen ärgerlichen Brief an den Kollegen Bundesinnenminister – und weinte sich über Joschka Fischer aus. Beckstein war im April 2000 erbost, „dass – wie alle Innenressorts der Länder – auch Ihr Haus von den Visaregelungen des Auswärtigen Amtes überrascht wurde“. Und dann bat Beckstein seinen Freund Otto, dem Außenminister die Leviten zu lesen.

Ob und wie energisch Schily bei seinem Kabinettskollegen Fischer den Visamissbrauch moniert hat, versucht der „Schleuser“-Untersuchungsausschuss des Bundestages herauszufinden. Eines ist bereits vor den Zeugenbefragungen sicher: Niemand anderes als Bundesinnenminister Schily wusste im Kabinett so früh und so gut Bescheid, dass besonders das rot-grüne Visum-Instrument Reiseschutzpass missbraucht wurde – und dass es der organisierten Kriminalität in die Hände gefallen war, die es für Menschenhandel und Zwangsprostitution nutzte.

Schily dürfte nach den Informationen, die ihm Bundesgrenzschutz und -kriminalamt auf den Tisch legten, ab Ende 2001 im Bilde gewesen sein. Nach 152.000 Visa im Jahr 1999 kamen im Jahr 2001 satte 329.258 Visa allein in der deutschen Botschaft in Kiew zustande. Eine erfreulich hohe Zahl – die leider unerfreulich oft auf das Konto von Schleusern ging. Otto Schily dürfte das schneller als andere verstanden haben.

Und der Innenminister handelte ja. Schily rügte, noch bevor die Affäre begann, seinen Bürogenossen aus Bonner Zeiten, dass dessen Liberalisierung der Visumvergabe („Volmer-Erlass“) nicht abgesprochen sei. Mit diesem Rundschreiben hatte der grüne Außenminister dafür gesorgt, dass – so Fischer in seiner Antwort an Beckstein – die oft „nahezu unwürdigen Verfahrensabläufe zur Erlangung eines Visums“ durch eine transparente und moderne Praxis zu ersetzen seien. Schily hielt das, wie viele Sozialdemokraten, für typisch grüne gutmenschliche Spinnerei – ließ den Koalitionspartner aber offenbar gewähren.

Dabei leitete Schily laut Informationen, die der taz vorliegen, schon 2001 in seinem Hause alle Schritte ein, um die neuen, von Rot-Grün begünstigten Methoden der Schleuser aufzuklären. Seinen Grenzschützern gab er den Ermittlungsauftrag, das „Einschleusen von Ausländern mittels Visumerschleichungen“ zu untersuchen. Er ließ sich Anfang 2002 unterrichten, dass seine Beamten in Frankfurt (Oder) davon ausgingen, dass 50 bis 70 Prozent der Visa aus der Ukraine nicht korrekt zustande gekommen seien. Sogar Presseartikel über Schleuserkriminalität beobachtete Schily genau.

Warum war der sonst so laut auftretende Schily in der Visafrage so diplomatisch? Musste er den Grünen, wie spekuliert wird, auf Bitten des Kanzlers die Spielwiese offen lassen? Ließ er sich, wie Michael Glos (CSU) mutmaßt, von Fischer düpieren, weil auf seine Mahnungen angeblich immer nur niedere Beamte reagiert hätten? Oder schämte sich Schily, weil sein Haus gleich doppelt in der Visa-Affäre engagiert war: Seine Abteilung A hatte die umstrittenen Reiseschutzpässe genehmigt – seine Sicherheitsbehörden aber mussten sich nun mit den Folgen herumschlagen.

Wäre der Außenminister so früh und gut über die Visamissbräuche informiert gewesen, er wäre seinen Posten los. Den Rücktritt Otto Schilys indes fordert niemand. Bislang.