Flensburgs Regisseur

Christian Berge ist beim Spiel seiner SG Flensburg gegen Kiel einer der Besten auf dem Feld. Vier Monate nach der Diagnose Krebs will er nichts mehr von Bestrahlungen hören – er will nur spielen

aus Kiel vonCHRISTINA STEFANESCU

„Ich will Handball spielen“, sagt Christian Berge, wenn man ihn nach seinen Zielen fragt, und, dass er nicht mehr bestrahlt werden muss. Die erhofften sportlichen Erfolge zu formulieren, fällt ihm leichter: „Ich will mit der Mannschaft Meister werden, Pokalsieger und die Champions League gewinnen.“

Vier Monate nachdem bei dem 31-Jährigen Norweger ein malignes Lymphom – ein bösartiger Krebs des lymphatischen Systems – diagnostiziert wurde, spielt Christian Berge wieder für die SG Flensburg-Handewitt. Und wenn es nur, wie im Derby beim Erzrivalen THW Kiel am Samstag, zehn Minuten in der zweiten Halbzeit sind. „In diesen zehn Minuten hilft er uns sehr“, sagt sein Trainer Kent-Harry Andersson. Mehr als diese zehn Minuten hält Christian Berge kaum durch. „Mir fehlen noch 40 bis 50 Prozent meiner Kondition, aber ich würde lieber heute als morgen trainieren und auch wieder voll spielen“, erklärt er.

Christian Berge merkte nicht viel von der Krankheit – müde war er und er tastete diesen Knoten an der rechten Seite seines Halses. „Ich wollte einfach wissen, was das für ein Knoten ist, dann hat man Untersuchungen gemacht und den Krebs diagnostiziert.“ Er erzählt nicht viel über die Zeit Anfang November nur, dass die ersten ein, zwei Tage nach der Diagnose schlimm gewesen seien und, dass er unbedingt Handball spielen wollte. „Ich habe immer daran geglaubt, dass ich zurückkommen werde.“

Die Unterstützung seiner Frau Turid, seiner Freunde, der Fans und nicht zuletzt der Mannschaft hätten ihm in der schweren Zeit geholfen, sagt Christian Berge. Im April wird er wissen, ob die Bestrahlung erfolgreich war. Doch keiner kann garantieren, dass der Krebs in den nächsten Jahren nicht wiederkommt. Aber davon möchte Christian Berge im Moment nichts wissen.

Am 11. Dezember, nur zwei Tage nach dem Ende der Strahlenbehandlung, trainierte er wieder: „Ich konnte fünfzig Meter laufen, dann ging nichts mehr.“ Nur vier Wochen später warf er im Bundesligaspiel gegen die GWD Minden-Hannover in 15 Minuten zwei Tore. Die Zuschauer feierten ihn mit Standing Ovations. Er habe vor Rührung und Aufregung fast geheult, erzählt der norwegische Nationalspieler und fährt sich mit der linken Hand durch die verschwitzten Haare.

Er steht im Kabinengang der Kieler Ostseehalle, frisch geduscht, zufrieden. „Und das heute war unglaublich“, sagt er. Er meint seinen Einsatz bei diesem Nordderby gegen den THW Kiel, das 26:26 endete. Dreißig Minuten übte er sich im Locker-Wirken: streckte mal die Beine weit von sich und verschränkte die Arme über dem Kopf, saß dann wieder vornübergebeugt, die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt. Je länger die erste Halbzeit dauerte, umso öfter fiel der Norweger aus der Rolle des stillen Beobachters zurück in die des Regisseurs. Währenddessen wechselte die Führung auf dem Feld minütlich: mal lag Flensburg mit zwei Toren vorn, dann wieder der THW.

Dabei waren es vor allem die Torhüter – Flensburgs Jan Holpert und Kiels Mattias Andersson – die das klare Absetzen einer der beiden Mannschaften verhinderten. Zur Halbzeit führte Kiel mit 11:10. Noch vor dem Ende der Pause schlenderte Christian Berge aus der Kabine in Richtung Mittellinie, griff in den Topf mit dem Harz und warf ein paar Mal locker aufs Tor. Er schnürte die Schnürsenkel enger, betrat in der 31. Minute das Spielfeld, und bereitete das erste Tor der zweiten Halbzeit vor.

Was folgte war das schon aus Halbzeit eins bekannte Wechselspiel der Führung und auch die „Hoyzer, Hoyzer“-Rufe, die bereits in der 16. Minute durch die Arena hallten. Wäre da nicht fünf Sekunden vor Schluss die Schlägerei mit Polizeiauflauf auf dem Spielfeld gewesen, alle hätten nach Abpfiff über die Schiedsrichter geschimpft und die Torhüter beider Mannschaften gefeiert.

Für die Szene, die keiner so genau gesehen haben will, sahen der Kieler Stefan Lövgren und der Flensburger Jonny Jensen die rote Karte. „Es gab keine Schläge, nur Schubser. So etwas gehört zu einem solchen Spiel“, versuchte Kiels Trainer Noka Serdarusic das große Knäuel aus Spielern später zu erklären. Und auch Manager Uwe Schwenker bagetellisierte die letzten Sekunden des Spiels, schließlich sei das ein „spannendes, emotionsgeladenes Derby“ gewesen.

Mit dem Unentschieden war sowieso jeder ganz zufrieden – auch Christian Berge, der mit Kopfhörern auf den Ohren an den Journalisten vorbeischlenderte, ganz entspannt. „Das war unheimlich schön“, sagt er und lächelt.