Harmonie bricht aus

Die deutschen Skilangläuferinnen haben erkannt, dass sie in der heutigen Staffel die größte Medaillenchance haben. Das schweißt zusammen

AUS OBERSTDORF JOACHIM MÖLTER

Wenn im Langlauf-Stadion von Oberstdorf die Zuschauer brüllen und die Ansager plärren, wenn also alle Lautsprecher im Hochbetrieb lärmen, dann ist jemand wie Claudia Künzel kaum noch zu verstehen. Sie ist eine Leisesprecherin, sensibel und schöngeistig, Langläuferin aus Leidenschaft und Malerin aus Passion. Sie hat ihre Bilder schon ausgestellt, am liebsten zeichnet sie Akte; für Körper hat sie ein Gefühl, vor allem für ihren eigenen. „Ich kenne meinen Körper“, sagt die 27-Jährige oft, am Samstag hauchte sie: „Ich hatte erwartet, dass ich mehr Körpergefühl habe, aber das war nicht so.“ Leer fühle sie sich nach dem 15-Kilometer-Duathlon, bestehend aus 7,5 Kilometern in der klassischen Technik und noch mal so viel in der freien. Zehnte ist Claudia Künzel geworden, und das war mehr, als ihr zuzutrauen war. Wegen einer fiebrigen Erkältung hatte sie vor der WM fast eine Woche nicht trainieren können.

Dabei hatte sie das Gefühl für ihren Körper verloren und ein anderes bekommen – sie war „schon ein bisschen ergriffen“, gab sie zu. Denn während sie flach lag, sei sie von ihren Teamkolleginnen aufgemuntert worden, wie sie es noch nie erlebt hatte. „Das hat mir Kraft gegeben“, erzählte sie, „da kamen solche Worte wie: Wir brauchen dich! Dieser Zusammenhalt kam plötzlich so raus, und da hat man erst einmal gemerkt, was man für eine Mannschaft ist.“

Die deutschen Langläuferinnen brauchen Claudia Künzel, ihre Beste in diesem Winter, für die 4 x 5-Kilometer-Staffel am heutigen Montag. Bei den Olympischen Spielen 2002 und der WM 2003 haben sie diesen Wettbewerb jeweils gewonnen, auch in Oberstdorf haben sie da die größte Medaillenchance, aber diesmal ist sie nur gering. „Wir haben bei der WM und bei Olympia Glück gehabt, dass wir alle brutal gut in Form waren“, sagt Evi Sachenbacher, die gerade das Pech hat, gar nicht gut in Form zu sein. Die 24-Jährige hat am Samstag auf den Duathlon verzichtet, „zum Wohle der Nation“, wie ihr Trainer Wolfgang Pichler sagte. Sie wollte ihre Kraft sparen für die Staffel.

Der Harmonie-Ausbruch unter den deutschen Langläuferinnen hat sicher damit zu tun, dass sie „von Verfolgern zu Verfolgten geworden“ sind, wie Claudia Künzel schon zu Saisonbeginn sagte: „Das hat sich schon im vorigen Winter angedeutet, aber da hat man es nicht so wahrgenommen, weil keine WM war.“ Vor allem von den Norwegerinnen fühlten sich die Deutschen gejagt, auch von Finninnen und Italienerinnen. Nach den jüngsten Eindrücken sind die Russinnen dazugekommen, die hatte es bei den olympischen Doping-Skandalen in Salt Lake City ja am stärksten erwischt: Larissa Lasutina und Olga Danilowa wurden jeweils nach ersten Plätzen aus dem Verkehr gezogen. „Die Russinnen waren gar keine Konkurrentinnen mehr“, erinnert sich Bundestrainer Jochen Behle, „jetzt sind sie wieder eine Macht.“ Julia Tschepalowa aus Moskau gewann in Oberstdorf schon zwei Medaillen, erst die silberne über 10 km, dann die goldene im Duathlon. Wie sie dabei am steilsten Anstieg der Strecke an der Weltcup-Führenden Marit Björgen aus Norwegen vorbeieilte, war schon sehr erstaunlich, selbst für Tschepalowa: „Ich habe mich gewundert, dass Marit stehen blieb.“ Aber Marit Björgen, später Zweite, war gar nicht stehen geblieben: „Ich wusste einfach keine Antwort auf ihre Attacke.“

Die Russinnen haben wieder den Argwohn in der Langlauf-Szene geweckt, das Team hat ja drei Wochen lang in der Abgeschiedenheit Armeniens für die WM trainiert, auf einer Höhe von 2.000 Metern. Es seien trotzdem Doping-Kontrolleure der Wada vorbeigekommen, sagte Tschepalowa, zudem russische Tester.

Marit Björgen hat in diesen Tagen gesagt, es würde sie nicht wundern, wenn es auch bei dieser WM Dopingfälle gäbe: „Ich hoffe, dass unser Sport sauber ist, aber ich bin nicht hundertprozentig sicher.“ Aber solche leisen Zweifel hört man kaum in all dem Lärm um die Sieger.