„Eine andere Liga“

Hannover 96 kann auch beim 1:4 gegen Werder Bremen seine neue Heimschwäche nicht überwinden

HANNOVER taz ■ Wenn man nicht genau hinhört, stattdessen eitel über alberne Einstiege grübelt, passiert natürlich Folgendes: „Feels like Team Spirit“ missversteht man den nirwanischen Gassenhauer, der kurz vor Spielbeginn aus den Lautsprechern dröhnt.

Nach sieben Spielminuten versetzte allerdings der deutsche Meister den Teamgeist der Hannoveraner für kurze Zeit in Agonie. Der beeindruckend spielende Ludovic Magnin hatte umstandslos einen Freistoß aus Richtung Eckfahne verwandelt, wenige Augenblicke später Tim Borowski kühl und direkt eine passgenaue Hereingabe von Fabian Ernst: 0:2. In München, wie man bald erfuhr, stand es auch so, nur umgekehrt. Da führte der Gastgeber Bayern gegen Dortmund und legte nach. Werder, angetreten mit seinem zweiten Sturm, da Klose und Klasnic nicht einsatzfähig waren, wäre beinahe das Gleiche gelungen, doch einen weiteren Treffer von Borowski (13.) ließ Schiedsrichter Fandel wegen vermeintlichem Abseits nicht gelten: Im Rauch der Nebelkerzen und einer gefährlichen Leuchtrakete, abgebrannt von den Zuschauern in Grün-Weiß, war die Situation wirklich schwer zu erkennen.

Den frühen Rückstand allein der Dreierkette anzulasten, für die sich 96-Trainer Lienen, wie er nachher sagte, in Absprache mit der Mannschaft entschieden hatte, wäre irreführend. Das Gesamtbild war es, das zum Déjà-vu geriet. Wie bei den Heimniederlagen gegen Leverkusen und Dortmund fehlten der hannoverschen Organisation gegen einen starken, kombinationssicheren Gegner die Ideen, die Genauigkeit, die Zweikampfstärke und … ja nun, man sagt’s nicht gern: -härte: Die Statistik registrierte 22 Fouls der Werderaner und 10 der Hannoveraner. Die guten alten „unforced errors“ waren kaum zu zählen. Man musste bis zur 30. Minute warten, ehe man die erste geistreich kombinierte Aktion der Gastgeber sah, nachdem Bremen das Tempo herausgenommen hatte, abwartete und dachte, „das geht von alleine“ (Trainer Thomas Schaaf). Die Lässigkeit rächte sich: Vinicius leitete einen Eckball per Kopf weiter auf den selben Körperteil von Zuraw zum Anschlusstreffer.

Nach der Pause war es weiterhin der so genannte ruhende Ball, den die 96er als Voraussetzung für ihre Chancen brauchten, weil ansonsten die Bremer jederzeit Herr der Lage zu sein schienen. Um das klarzustellen, nahm Ernst, der seine Jugend bei 96 verbracht hat, im Strafraum einen Pass von Hunt entgegen, schnelle Drehung, und Enke flog vergebens.

Ewald Lienen wechselte: Raus musste Neuzugang Veljko Paunovic, der schwach war, aber auch das Pech hat, dass von ihm um so mehr Wunder erwartet werden, je länger Hannover in einer kleinen Krise steckt. „Er hat sich zwar gut bewegt, ist aber noch nicht in der Verfassung, in der er uns helfen kann“, musste Lienen erkennen. Für Paunovic kam Jiri Staijner, der auf die Bank versetzte Extorschützenkönig Christiansen musste sich noch gedulden, bis er dann zusammen mit Kaufman folgte (79.). Vier Stürmer, volle Pulle, was sonst? Schaaf tauschte ebenfalls im Angriff, allerdings mit weit größerem Erfolg: Kaum zwei Minuten auf dem Feld, schoss Zidan nach einem feinen Solo, das Zuraw nicht zu stoppen vermochte, das 1:4: „Wenn man ihn in die Situation bringt“, analysierte Thomas Allofs zufrieden, „dass er eins gegen eins gehen kann, dann ist er kaum zu stoppen.“

Das sei halt der Unterschied, fasste Lienen den Spielverlauf zusammen, die Bremer machten aus wenigen Chancen genug Tore: „Sie spielen in einer anderen Liga, und wir können nur Paroli bieten, wenn alles passt.“

Wenn man abschließend einen Blick auf die Geschichte dieses kleinen Nordderbys wirft, bleibt festzuhalten, dass erstens am Austragungsort Hannover immer weniger Tore geschossen werden – einem 4:4 in der vorletzten Saison folgte ein 1:5 in der vergangenen – und das die Gastgeber brutto nun fast ein Vierteljahrhundert ohne Heimsieg gegen Werder sind. Das interessierte natürlich nicht die Beteiligten, vor allem nicht die aus Bremen, die mit den Gedanken längst bei der Champions League waren: „Und jetzt bereiten wir uns vor auf Lyon.“ Die sollten gewarnt sein. DIETRICH ZUR NEDDEN