Hightech-Bohrinsel ist undicht

Die Plattform „Eirik Raude“ in der Barentssee ist nicht so sicher wie versprochen: Schon die Leitungsverbindungen halten dem Wetter nicht stand. Die Aufsichtsbehörde schließt sie deshalb – vorläufig. Umweltschützer warnen vor größeren Gefahren

AUS OSLO REINHARD WOLFF

Der zweite Unfall binnen einer Woche war der norwegischen Ölaufsichtsbehörde Petroleumtilsynet zu viel. Sie verfügte die sofortige Einstellung aller Bohraktivitäten der Plattform „Eirik Raude“. Ein Rückschlag für die Ölindustrie: Die „Eirik Raude“ war speziell für die besonders empfindlichen Gewässer des arktischen Barentsmeeres zur angeblich „sichersten Plattform der Welt“ umgebaut worden.

Die Regierung in Oslo hatte das Meeresgebiet vor der Nordküste Norwegens erst nach langem Zögern und gegen den Widerstand der gesammelten Umweltschutzbewegung für Ölsuchaktivitäten geöffnet. Die „Eirik Raude“ hatte erst nach gründlicher Kontrolle die Erlaubnis erhalten, mit einer 120-köpfigen Besatzung zu starten. „Es ist klar, dass uns hier absolut nichts passieren darf“, hatte Plattformchef Lars Johansen zum Bohrbeginn am 18. Januar gegenüber der Presse erklärt. Ansonsten seien alle Bohraktivitäten im Barentsmeer in Frage gestellt.

Das urspünglich vor zehn Jahren in China erbaute Plattformungetüm war vor dem Einsatz im nördlichen Eismeer für mehrere Millionen Euro umgebaut worden. Nicht ein einziger Tropfen Regenwasser werde ungereinigt ins Meer gelangen, so die Reederei Ocean Rigg.

Es kam anders: Die Mannschaft bohrte gerade mal drei Wochen, als ein Leitungsverschluss brach. Am 8. Februar strömten 6.000 Liter chemikalienhaltiges Wasser ins Meer. Vergangenen Mittwoch dann der zweite Unfall: Eine Schlauchverbindung riss, weitere 4.000 Liter Chemikalien flossen aus.

Mit solchem Szenarien hatten Umweltschutzorganisationen vor Bohrungen im Barentsmeer gewarnt: Jahrzehntelange Erfahrungen in der Nordsee hätten erwiesen, wie unberechenbar das Umweltrisiko sei. Und im Barentsmeer sind die Sturmtage noch wesentlich zahlreicher und die Wellen höher. Zudem gilt es als Kindergarten der wichtigsten noch nicht ausgerotteten Fischarten. Eine Ölkatastrophe würde hier unabsehbare Folgen haben.

„Ein Schreckexempel an politischer Feigheit“, nannte die Umweltschutzorganisation Greenpeace das Ja zu den Bohrungen vor einem Jahr und fühlt sich nun bestätigt: „Wenn die „Eirik Raude“ binnen zwei Wochen 10.000 Liter Chemikalien im Meer verlieren kann, zeigt das, dass die Ölkonzerne weder die Fähigkeit noch den Willen zur versprochenen Nullbilanz haben“, so Greenpeace-Experte Truls Gulowsen. Eine etwaige Änderung der norwegischen Ölpolitik ist aber zumindest vor den Wahlen im Herbst nicht zu erwarten. Es ist acht Jahre her, dass auf dem Kontinentalsockel zuletzt ein bedeutender Öl- und Gasfund gemacht wurde. Die Ölkonzerne warnen vor einer sinkender Förderquote, falls nicht schnell neue Quellen ausfindig gemacht werden. Und das geht nur mit Vorstößen in immer weiter nördlich liegende Meeresgebiete. Auch die „Eirik Raude“ wird vermutlich nach gründlicher Untersuchung der Unfallursachen und neuen Sicherheitskontrollen eine weitere Bohrerlaubnis erhalten.