Der Sieg des Unbeholfenen

Der viel verspottete Peter Harry Carstensen wird wahrscheinlich nächster Ministerpräsident. Hochrechnungen sehen CDU und FDP knapp vor Rot-Grün

AUS KIEL ESTHER GEISSLINGER

Die Kameras drängen von allen Seiten, Fotografen schieben sich gegenseitig über den breiten Gang im ersten Stock des Landeshauses. Alle wollen nur den einen, Peter Harry Carstensen, der sich schieben lässt von der Menge, getragen wie von einer Woge. Er strahlt in alle Richtungen, in alle Objektive. Während die Basis den Sieg sehr früh feierte, war die Spitze zunächst vorsichtiger: Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen, im Wahlkampf für sein ungeschicktes Auftreten noch verspottet, wartete ab, bis ein wirklich klares Ergebnis vorlag – in Gedenken an Edmund Stoiber, der sich nach der Bundestagswahl bereits als Sieger feiern ließ, dann aber doch unterlag.

Ein schlanker Mann im Anzug läuft gegen den Strom um Carstensen, er will in ein Fernsehstudio, zu einem Reportermikrofon, er hat viele Gespräche verabredet an diesem Abend, vor diesem Abend und seinem Ergebnis

Klaus Müller, grüner Umweltminister in Schleswig-Holstein, und Peter Harry Carstensen, möglicherweise neuer Ministerpräsident, treffen sich im Flur, Müller muss sich an die Wand quetschen, damit er von den Kameras nicht überrannt wird. Es ist kein guter Abend für Müller, für die Grünen.

Carstensen trifft auf Wolfgang Kubicki, den Spitzenmann der FDP, er nimmt den kleineren in den Arm, reckt die Hände zu einer Siegesgeste. „Noch mal, Herr Carstensen, Herr Kubicki, bitte“, rufen die Fotografen. Es ist so schön, der Sieger zu sein. Peter Harry Carstensen, dem nur wenige den Sieg zugetraut haben, der im persönlichen Duell mit Heide Simonis verloren hätte, genießt diese Minuten sichtbar.

Simonis schmeckt an diesem Abend, wie bitter die Niederlage ist. Sie sieht müde aus, älter als sonst, ihr Lächeln ist dünn und gequält. Was sie denn mache, wenn sie nicht mehr Ministerpräsidentin sei, wird sie gefragt: „Mir fällt schon was ein“, sagt sie, es klingt frostig. Die Niederlage trifft sie persönlich, fällt auf sie zurück: Immerhin warb die Partei mit ihrem Namen, ihrem Porträt als wichtigstem Faktor.

Rot-Grün hat die Mehrheit verloren – vielleicht könnte es doch noch knapp reichen mit dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW). Das ist kein Traumergebnis, vielmehr in jedem Fall eine Niederlage. Es allein zu schaffen, war das erste Wahlziel der Nord-Genossen, die rot-grüne Koalition die zweitbeste – und durchaus realistische – Möglichkeit. Beides wird nicht klappen, außer der spätere Abend bringt noch ein Wunder.

„Das beste Ergebnis überhaupt ist, dass die NPD nicht reingekommen ist“, sagt Dr. Gabriele Köttschau, bisher SPD-Vizelandtagspräsidentin. Sie hatte nicht wieder kandidiert, das Ergebnis trifft sie also nicht persönlich, der Schock sitzt aber dennoch tief. „Wir müssen Gespräche führen mit allen Seiten“, sagt sie.

Anne Lütkes, grüne Spitzenfrau und Justizministerin, redet das Ergebnis schön: Immerhin haben die Grünen zugelegt – um 0,6 Prozentpunkte. Mit dem SSW gebe es „viele Gemeinsamkeiten“, man werde „intensiv arbeiten“.

Wolfgang Kubicki schließt vor den Kameras wieder die Zusammenarbeit mit dem SSW in einer tolerierten Minderheitsregierung aus: „Mehrheit oder Opposition“, eine andere Form gebe es nicht. Wie schön es sei, mit einer knappen Mehrheit zu regieren, diktiert CDU-Spitzenmann Martin Kayenburg den Reportern in die Blöcke: „Mit einer knappen Mehrheit ist die Disziplin größer.“ Ab morgen wird verhandelt, die CDU hat den Saal bereits gebucht.