Kein Ende des dänischen Privilegs

Die zwei Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbands werden wohl Heide Simonis zur Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins küren. Hinter dem SSW steckt eines der wenigen Beispiele gelungener Minderheitenpolitik in Deutschland

Sapperlot! Ein Däne dürfe doch wohl nicht über eine Landesregierung und damit über die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat bestimmen, polterte Franz Josef Strauß selig am Wahlabend 1979, als es – genau wie am vergangenen Sonntag – lange Zeit spitz auf Knopf in Schleswig Holstein stand. Wie auch 1987 hatten die Demoskopen dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) für kurze Zeit signalisiert, SPD und FDP könnten gemeinsam mit dem SSW-Abgeordneten Karl-Otto Meyer die allein regierende CDU von der Macht verdrängen. Noch eine Woche später erhielt Meyer Drohungen – und sogar eine Bombenattrappe.

Dass der SSW in Schleswig-Holstein eine bundesweit einmalige Sonderstellung im parlamentarischen System genießt, ist seit langem umstritten: Alle „Kleinen“ von FDP bis NPD sind schon an der Hürde gescheitert. Erst im vergangenen Dezember entschied das Bundesverfassungsgericht, die Befreiung des SSW von der Fünf-Prozent-Hürde sei zulässig, nachdem das Oberverwaltungsgericht Schleswig zuvor das Ende des dänischen Privilegs gefordert hatte.

Dabei ist die Befreiung von der Parlamentsklausel eines der wenigen Beispiele gelungener Minderheitenpolitik in Deutschland – mit langen historischen Wurzeln. Nach dem Krieg 1864 hatte Preußen mit Sonderburg, Tondern und Röm auch große Teile Dänemarks annektiert. Erst 1920 wurde durch eine Volksabstimmung festgelegt, dass das so genannte Nordschleswig wieder zurück an Dänemark ging. „Südschleswig“ zwischen Sylt, Flensburg und Rendsburg blieb hingegen deutsch.

Der SSW entstand im Sommer 1948 aus dem zwei Jahre zuvor gegründeten Südschleswigschen Verein (SSF). Kurz nach dem Krieg war diese Minderheit mancherorts sogar zur dänisch-orientierten Mehrheit geworden, die den „Untergang des schleswigschen Volkstums“ fürchtete und den Anschluss an Dänemark anstrebte.

Bei den Kommunalwahlen 1948 erhielt der SSW auf Anhieb 26 Prozent der Stimmen im Landesteil Schleswig. Bei der Bundestagswahl 1949 gewann die Partei sogar ein Mandat im Bonner Parlament.

In den Folgejahren verlor der SSW aber deutlich an Stimmen, die 1950 im Land eingeführte Fünf-Prozent-Klausel wurde zum Problem. Nach zähen Verhandlungen, in die sogar die Kopenhagener Regierung einbezogen wurde, erreichte der SSW sein Ziel: In Verbindung mit den Bonn-Kopenhagener Abkommen von 1955, die die Rechte der Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze schützen sollten, wurde der SSW von der Fünf-Prozent-Klausel befreit. Mehr als 20 Jahre hielt Karl Otto Meyer als einziger das SSW-Fähnchen im Kieler Landtag hoch.

Auch heute noch leben rund 60.000 Dänen im Norden Schleswig-Holsteins. Obwohl der SSW bei der aktuellen Wahl nur noch 51.000 Stimmen (3,6 Prozent) und damit 10.000 weniger als beim vergangenen Urnengang (4,1) erhielt – darunter auch viele Protestwähler aus anderen Lagern–, kommt der Partei der dänischen Minderheit bei der Regierungsbildung die Schlüsselrolle zu.

Mittendrin: Die beiden verbliebenen SSW-Abgeordneten und „Königsmacher“, die Spitzenkandidatin Anke Spoorendonk (57) und Lars Harms (39). Eigentlich ist alles seit langem klar: Immer wieder ließ die gelernte Lehrerin Spoorendonk durchblicken, dass sie Heide Simonis für die bessere Chefin der Landesregierung hält.

Nicht nur, dass sich beide in der männerdominierten Politik durchboxten. Auch politisch stehen sich SPD und SSW bei der Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems nah. Spoorendonk wird nicht müde, die pisa-siegreichen skandinavischen Gemeinschaftsschulen zu loben, in denen neun Jahre gemeinsam unterrichtet wird. Auch die SSW-Forderung nach einer aktiven „skandinavischen“ Arbeitsmarktpolitik dürfte der Nord-SPD nicht fremd sein.

Weniger SSW-Schnittmengen gibt es mit den Grünen: Die Pragmatikerin Spoorendonk will nämlich am Ausbau der Ostseeautobahn A20 auch in Schleswig-Holstein nicht rütteln. Andererseits begab sich die Frau aus Harrislee bei Flensburg in der vergangenen Legislaturperiode mit ihrem Engagement für eine bürgernahe Politik in die Nähe der Öko-Partei. So setzte sich der SSW für ein Informationsfreiheitsgesetz ein, das Bürgern Akteneinsicht bei den Verwaltungen verschafft.

Weil es ihr „nur um Inhalte“ geht, würde sie am liebsten Unabhängigkeit bewahren, auf Koalition wie Ministerposten verzichten und eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren, betonte Spoorendonk immer wieder – eine Regierungsform, die natürlich in Skandinavien langeTradition hat. Kai Schöneberg