Für die Würde der Opfer

Die Bundesländer müssen jetzt festlegen, an welchen Gedenkstätten künftig Demonstrationen verboten werden können

VON CHRISTIAN RATH

Rechte Demonstrationen können künftig leichter verboten werden. Darauf haben sich gestern die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen mit Innenminister Schily und Justizministerin Zypries (beide SPD) geeinigt. Gegenüber den ursprünglichen Plänen der beiden Minister gab es zahlreiche Änderungen, die das Maßnahmepaket gegen rechts teilweise ver- und teilweise entschärft haben.

Der wichtigste Punkt im aktuellen Gesetzentwurf, der der taz vorliegt, betrifft den Schutz von Gedenkstätten, die „an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnern“. Dort können Demonstrationen, die „die Würde der Opfer beeinträchtigen“, künftig verboten oder durch Auflagen reglementiert werden. Eigentlich wollte Schily, dass die Einschränkungen nur an Gedenkstätten von „nationaler“ Bedeutung gelten. Auf Druck aller Länder, auch solcher mit SPD-Regierung, stellt der Gesetzentwurf jetzt nur noch auf Gedenkstätten mit „überregionaler“ Bedeutung ab. Es wird also viel mehr geschützte Bereiche geben als von Rot-Grün geplant.

Nur eine Gedenkstätte soll dem Entwurf zufolge im Versammlungsgesetz explizit genannt werden: das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin“. Alle anderen geschützten Gedenkstätten sollen die Länder nach einem noch nicht definierten Verfahren festlegen. Schily wollte die Liste der geschützten Orte per Rechtsverordnung der Regierung beschließen.

In Regierungskreisen befürchtet man zwar, dass manche Länder nun inflationär vermeintlich überregionale Gedenkstätten auflisten. Letztlich müsste eine zu weitgehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit aber vom Bundesverfassungsgericht korrigiert werden.

Entschärft wurden dagegen die Pläne der fürs Strafrecht zuständigen Justizministerin Brigitte Zypries. Sie wollte im Volksverhetzungsparagrafen auch das „Verherrlichen und Verharmlosen“ der NS-Herrschaft bestrafen. Hiergegen hatten sich letzte Woche jedoch die Fraktionen von SPD und Grüne gestellt, die die Meinungsfreiheit nicht so stark einschränken wollten. Jetzt wurde ein Kompromiss gefunden. Zwar wird die Strafbarkeit rechter Meinungsäußerungen ausgeweitet, bestraft wird aber nur, wer nationalsozialistische „Menschenrechtsverletzungen billigt oder verherrlicht und dadurch die Würde der Opfer verletzt“. Von „Verharmlosung“ ist nicht mehr die Rede. Dieser Kompromiss hilft vor allem der Bundesregierung, das Gesicht zu wahren. Ob es viele praktische Anwendungsfälle geben wird, ist fraglich. Die Regierung erhofft sich, dass mit Hilfe der Strafrechtsverschärfung auch missliebige Demonstrationen leichter verboten werden können.

Parallel zu den Verhandlungen auf Regierungsebene verhandelte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, auch mit der CDU/CSU. Beim zentralen Wunsch der Union, einem besseren Schutz des Brandenburger Tors vor „beschämenden Bildern“ mit Neonazi-Demonstrationen, konnte Wiefelspütz jedoch keine Zugeständnisse machen, weil die Grünen hier eine Verschärfung ablehnen.

„Möglicherweise stimmt die Union dem jetzt vorgelegten Vorschlag dennoch zu“, sagte deren Fraktionsvize Wolfgang Bosbach gestern zur taz. Er wolle vor allem die Begründung des Gesetzentwurfs noch genau prüfen. Eigentlich war geplant, diesen schon am Freitag im Bundestag zu beschließen. Daraus wird nun nichts, denn die Union wird eine Sachverständigen-Anhörung beantragen, die Anfang März stattfinden soll. Das verschärfte Gesetz kann voraussichtlich aber dennoch am 1. Mai in Kraft treten, weil die Länder im Bundesrat eine kurzfristige Befassung ermöglichen wollen.