Von der Kunst des absolut schamlosen Ideenklaus

„Sholay“, der erfolgreichste indische Film aller Zeiten, beherrscht eines vor allem: die Kunst der Aneignung. Er führt, mit anderen Worten, vor, wie man aus Elementen, die man schamlos von anderswoher nimmt, etwas sehr Eigenes macht. Er bedient sich bei Filmen des Westens und auch des Ostens, bei sehr verschiedenen Genres und aus Kontexten miteinander kaum vereinbarer Art. In seinen Grundzügen erzählt der Film aus dem Jahr 1975 eine Geschichte, die mit der von Akira Kurosawas „Sieben Samurai“ eine mehr als nur gewisse Ähnlichkeit hat. Nicht sieben, nur zwei Männer, verteidigen ein von Verbrechern bedrohtes Dorf mit allen Kräften. Mit famoser Zielsicherheit schießen sie das Böse vom Pferd und kämpfen sie für das Gute.

Samurai allerdings sind die beiden nicht. Vielmehr zwei kleinkriminelle Tunichtgute und beste Freunde namens Veeru (Dharmendra) und Jai (Amitabh Bachchan). Der Mann, der sie zum Schutz des Dorfs bestellt, ist ein Expolizist namens Thakur (Sanjeev Kumar), der ihren Mut kennt und recht eigentlich blutige Rache am Oberschurken Gabbar Singh (Amjad Khan) im Sinn hat. Der nämlich hat, wie man in einer der vielen recht ausgedehnten Rückblenden erfährt, auf eiskalte Weise Thakurs Familie, seinerseits Rache nehmend, ausgelöscht.

„Sholay“ wird gerne als „Curry-Western“ bezeichnet, und in der Tat wird zu Pferde geritten, werden Kutschen durch die Prärie gejagt, gibt es einen zurückgeschlagenen Zugüberfall und jede Menge Anspielungen auf Filme von Sergio Leone, insbesondere „Spiel mir das Lied vom Tod“. Nun ist aber das indische Kommerzkino nicht nur eine Kunstform der Aneignung, sondern vor allem der Vermischung sehr heterogenen und für westliche Vorstellungen auch gar nicht zueinander passenden Materials. Was dabei herauskommt, nämlich das schroffe Nebeneinander vermeintlich unvereinbarer Bestandteile, heißt dann nach der Gewürzmischung „Masala“. Der „Masala“-Film erlebte in den Siebzigerjahren des indischen Kommerzkinos – das damals, im Westen weitgehend unbekannt, noch nicht „Bollywood“ hieß – seine ganz große Zeit und „Sholay“ ist das berühmteste Exemplar.

Das Tolle an der „Masala“-Formel ist: Sie ist im Grunde die Lizenz zum Unmöglichen. Was etwa heißt, dass unvermittelt neben viel Brutalität und Blut auch eine durch Chaplins „Großen Diktator“ gefilterte Hitler-Parodie stehen kann. Ein Gefängnisdirektor paradiert slapstickartig mit Bärtchen und ist stolz darauf, sein Handwerk noch bei den Briten gelernt zu haben. Von hier nach da, vom Slapstick zum Gemetzel und wieder zurück, geht es, versteht sich, auf Flügeln von Tanz und Gesang. Oder in rasender, narrativ aufs Allerschönste sinnloser Fahrt auf dem Motorrad mit Beiboot und allerlei Faxen.

Ansteckend ist daran bis heute die im besten Sinne naive Freude, mit der hier eine populäre Kunstform auf dem Höhepunkt ihrer Aneignungslust vor nichts und niemandem haltmacht. Und dabei auch noch unbewusst den Unterhaltungszwang, dem sie dabei unterliegt, in einer großartig entsetzlichen Szene auf den Punkt bringen kann. Der Schurke nämlich zwingt Basanti (Hema Malini), ums Leben ihres zukünftigen Ehemanns Veeru zu tanzen. Bricht sie zusammen, muss er sterben. Also tanzt sie und tanzt auch über die Scherben noch, die ihr der Schurke zwischen die Füße wirft. Und sie tanzte bis heute noch, fiele nicht endlich ein Schuss in diesen hysterischen Tanz, der dazu führt, dass dann der Western im Curry-Format mit der Entscheidungsschlacht weitergeht.

„Sholay“ ist der Klassiker, der er ist, nicht zuletzt, weil er gnadenlos vorführt, wie zwischen den unvereinbarsten Dingen im Kino nicht mehr als ein Schnitt liegen muss. Der Film ist exemplarisch darin, das Unvereinbare von überallher zu nehmen. Aber exemplarischer noch ist, wie er daraus eine Achterbahnfahrt macht, die nur die Puristen unter den Liebhabern des Kinos nicht zu Begeisterungsschreien verführt. EKKEHARD KNÖRER

■ Die DVD bietet wenig mehr als das Nötigste. Zu sehen ist nur die Kinofassung, nicht der Director’s Cut mit abweichendem Ende. Für knapp 20 Euro überall im Handel