Japan vor dem Sprung

Der japanische Biomarkt ist noch klein, aber auf dem Weg, sich unter den weltweit größten drei zu etablieren. Politische Zurückhaltung verursacht hohe Preise, die den Markt hemmen

VON TILMAN VON ROHDEN

Die Bioszene ist längst globalisiert, auch wenn sie dies kaum wahrnimmt: Nicht nur in den USA und Europa, den beiden bedeutendsten Biomärkten, sondern auch in Japan werden Bioprodukte über alle kulturellen Grenzen hinweg gekauft. Die Biobegeisterten sind in allen drei Ländern jung, gut ausgebildet und mit einem entsprechenden Einkommen ausgestattet. In Japan mag allenfalls verwundern, dass die ältere Generation, die sich zum guten Teil auch heute noch nach der Tradition – und das heißt gesundheitsbewusst – ernährt, nicht zu den typischen Käufern von Bioprodukten zählt.

„Der japanische Biomarkt hat ein riesiges Potenzial, steckt aber noch in den Kinderschuhen“, sagt Gerald A. Herrmann vom auf Bioberatung spezialisierten Münchner Unternehmen Organic Services. Millionen gut verdienender Konsumenten versammelten jede Menge Kaufkraft, doch ihnen fehle es an Aufklärung und Bewusstheit. „Wenn sich dies in einigen Jahren geändert hat und die Handels- und Produktionsstrukturen des Biomarkts ausgebaut sind, dann wird dieser Markt der drittgrößte der Welt sein“, prophezeit Heinz Kuhlmann, ständiger Vertreter der Nürnberg Messe und dem Tochterunternehmen Nürnberg Global Fairs in Japan. Nach seinen Angaben erzielt der japanische Biomarkt einen Umsatz zwischen 750 Millionen und einer Milliarde US-Dollar. Doch sind hier nichtzertifizierte Naturprodukte Produkte mit eingerechnet. Echte Bioprodukte, von unabhängiger Seite zertifiziert und mit Biosiegel versehen, würden nur rund 10 Prozent zum Umsatz beitragen, so Kuhlmann.

Eine zwiespältige Hilfe zum Ausbau des Biomarkts ist das seit dem Jahr 2001 existierende staatliche Biosiegel „Jas“. Es hat zwar für verlässliche Produktstandards gesorgt, die dem Konsumenten Sicherheit und Orientierung geben, wird aber von den Biobauern aus Kostengründen mehr oder weniger abgelehnt. Dennoch ist diese staatliche Initiative ein bedeutender Schritt für den japanischen Biomarkt, denn mit dem Jas-Siegel kann die weit verbreitete Unsicherheit und Unkenntnis der Verbraucher über Bioprodukte gemindert werden. Insgesamt gesehen fällt der japanische Staat als engagierter Förderer des Biomarkts, so wie in der EU üblich, mehr oder weniger aus.

Allerdings hat sich in jüngster Zeit aus dem Parlament eine überparteiliche Bio-Arbeitsgruppe rekrutiert. Initiiert wurde sie von dem Finnen Marutei Tsurunen, der es mit seiner japanischen Staatsbürgerschaft ins Tokioter Parlament schaffte. Kuhlmann hält Tsurunen im Augenblick für die politische Speerspitze für eine gedeihliche Entwicklung des Biomarkts. Er erwartet von dieser Gruppe schon in kurzer Zeit wesentliche Impulse für den Biomarkt. Auf der Agenda ganz oben stünden bei den rund 100 Parlamentariern die Themen Verbraucheraufklärung und finanzielle Unterstützung für Biobauern.

Dabei lässt sich der Staat die Landwirtschaft schon heute einiges kosten. Allerdings investiert er nur Direktzahlungen an Bauern und insbesondere preisstützende Maßnahmen. „Für die Biobauern ist das Gift, denn damit wird die sehr hohe Preisdifferenz zwischen biologischen und konventionellen Produkten zementiert“, sagt Gerald A. Herrmann. Bioprodukte kosten in Japan das Doppelte oder mehr im Vergleich zu ihren Pendants aus konventioneller Produktion. „Der japanische Biomarkt ist auch deshalb unterentwickelt, weil die preisstützenden Maßnahmen in der konventionellen Landwirtschaft Alternativen in der Agrarwirtschaft verhinderten“, so Herrmann. Der international tätige Berater für Regierungen, Organisationen und Unternehmen sieht andere Wege: „Umwelt- und Bioprogramme würden den Biobauern und ihrem Markt besser helfen.“

Klassische Bioläden gibt es in Japan kaum. Die Verbraucher finden Bioprodukte in konventionellen Supermärkten, wo das Sortiment in den Regalen verstreut steht. Eine eigene Bioabteilung würde sich für den Großhandel kaum lohnen, denn die Produktvielfalt ist sehr eingeschränkt. Die meisten bei uns bekannten Bioprodukte sind in Japan nicht erhältlich. Nicht zuletzt weil der Gesetzgeber für viele Bioprodukte keine Standards definiert hat.

Obwohl 50 Prozent aller Agrarprodukte nach Japan importiert werden – bei Bioprodukten 70 Prozent – sind Importe keine echte Lösung, um interessierten Verbrauchern eine attraktive Vielfalt anbieten zu können. Denn der Staat ist bei allen Agrarimporten sehr restriktiv, um die heimische Landwirtschaft zu schützen. Importe sind nur gern gesehen, wenn die heimische Wirtschaft nicht liefern kann. Zugleich dürfen viele biologische Importprodukte nicht das verkaufsfördernde japanische Biosiegel tragen, weil der Staat den Standpunkt vertritt, dass nicht die Produkteigenschaften maßgeblich sind, sondern die Zertifizierer. Ein Beispiel: Ein deutsches Bioprodukt mag gleich mehrere Biosiegel führen. Wenn dies nicht von der richtigen Stelle zertifiziert worden ist, nützt dies alles nichts. Richtig sind nach japanischem Verständnis ausschließlich rund 20 international tätige Zertifizierer. Andere in Deutschland übliche Stellen zur Überprüfung der Standards akzeptiert Japan nicht.

So kommt es, dass die Kaufwilligen vor schmalen Bioregalen stehen. Der Großhandel würde gern mehr Bioprodukte anbieten, denn die Nachfrage ist vorhanden. Aber die entsprechenden Mengen sind nicht verfügbar. Landwirtschaftliche Großbetriebe schaffen keine Abhilfe, denn die heimische Bioproduktion wird in erster Linie von kleinen Höfen geleistet. Diese sind für den Großhandel aber keine adäquaten Handelspartner. So bleiben die Bioprodukte rar und teuer, was die Marktentwicklung dämpft.