Nürnberg feiert Bio de Janeiro

Brasilien, das „Land des Jahres“ auf der diesjährigen BioFach, profiliert sich als „Bionation“. Auf dem konventionellen Agrarweltmarkt ohnehin bedeutend, weist das Land auch im Ökolandbau mittlerweile enorme Wachstumsraten auf
VON LINE LENHARDT

Brasilien? Fußball und Caipirinha, Karneval und Samba! Das größte südamerikanische Land arbeitet schwer daran, sich auch als „Bionation“ einen Namen zu machen. Die Chancen stehen nicht schlecht. Brasilien spielt auf dem konventionellen Agrarweltmarkt als Exporteur von Soja, Kaffee und Zucker sowie Fleisch eine entscheidende Rolle, und mittlerweile weist auch der Ökolandbau enorme Wachstumsraten auf: 2001 waren 276.000 Hektar als ökologische Landwirtschaftsfläche zertifiziert. Heute sind es mehr als 800.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche (170.000 ohne Wald und Weiden), die mit biologischen Methoden umweltfreundlich und nachhaltig bewirtschaftet werden.

Laut Bericht des Weltdachverbands der Bio-Landbauorganisationen (Ifoam) aus dem letzten Jahr liegt Brasilien im Ranking der rund 100 Länder, die gegenwärtig ökologischen Landbau betreiben, auf Platz fünf, in Lateinamerika nach Argentinien an zweiter Stelle. Der Verkaufswert der brasilianischen Bioproduktion erreichte nach Daten des Landwirtschaftsministeriums (Mapa) 2003 schon eine Milliarde US-Dollar und ist seither um 20 Prozent pro Jahr gewachsen. Die brasilianische Exportförderungsagentur Apex schätzt, dass das Land im letzten Jahr Bioprodukte im Wert von 115 Millionen US-Dollar exportiert hat. Etwa 10 Prozent davon gehen nach Deutschland, das neben Japan und den USA zu den größten Abnehmern zählt.

Schon die BioFach 2004 war für Brasilien ein Rekordjahr. Die Handelsumsätze auf der Messe verdreifachten sich gegenüber dem Vorjahr. Bei der diesjährigen BioFach ist Brasilien zum „Land des Jahres“ avanciert, und alle Akteure erwarten, die positiven Zahlen von 2004 zu verdoppeln. Federführend sind hier Apex und die Deutsch-Brasilianische Industrie- und Handelskammer (AHK) mit Sitz in São Paulo, die über das Projekt „Organic Brasil“ seit 2002 die Marktchancen für brasilianische Bioprodukte erhöhen, den Export fördern und die regionalen Märkte stärken wollen.

Denn trotz eines wachsenden heimischen Marktes geht der überwiegende Anteil der brasilianischen Produktion noch in den Export – und davon profitieren nicht unbedingt die Kleinbauern und Familienbetriebe Brasiliens. Dabei stellen diese 70 bis 80 Prozent der insgesamt 19.000 offiziell zertifizierten Bioproduzenten im Land, vornehmlich aus den Bundesstaaten Paraná, São Paulo, Rio Grande do Sul, Minas Gerais, Rio de Janeiro und Espírito Santo. Diese Statistiken berücksichtigen aber nicht, dass viele kleinbäuerliche Bioproduzenten in Land zwar auf organischen Landbau umgestellt haben, sich aber die Kosten für die Zertifizierung nicht leisten können – und als konventionelle Produzenten erfasst werden.

„Von den Exportgeschäften sind deshalb viele Kleinbauern und Familienbetriebe noch größtenteils ausgeschlossen“, erläutert Hans Christian Schmidt, Leiter eines Projekts der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) zur „nachhaltigen ländlichen Entwicklung“ im Bundesstaat Espírito Santos. Aber langfristig bringt die Umstellung auf organischen Landbau Vorteile – selbst wenn die Kleinproduzenten nicht vom Export profitieren: Zum einen verbessern sich auf Dauer die Bodenqualität und die Ernteerträge, gerade in Regionen, die von Wasserknappheit und Bodenerosion betroffen sind. Zum anderen, da der organische Landbau im Allgemeinen diversifiziert ist, können sich Kleinbauern von Monokulturen unabhängig machen und auch für den Eigenverbrauch produzieren.

Ein Anreiz für viele ist, dass Bioprodukte auf dem wachsenden Binnenmarkt selbst dann höhere Preise erzielen, wenn sie noch nicht international zertifiziert sind. Darüber hinaus können Kleinproduzenten ihre Ware direkt – statt über Zwischenhändler – auf spezialisierten Wochenmärkten verkaufen und so ihre Gewinnspannen erhöhen. Um aber die Exportchancen auch für Kleinbauern langfristig zu verbessern, müsse ein faires Zertifizierungsverfahren für alle ermöglicht, eine an den organischen Landbau angepasste Kreditvergabe entwickelt und mehr Managementkompetenz vermittelt werden, sagt Schmidt.

 Als positiv für die Entwicklung des Biosektors bewerten Brasilienexperten die aktuellen politischen Rahmenbedingungen: Das Landwirtschaftsministerium (Mapa) will in diesem Jahr die Investitionen in das Programm zur Entwicklung des biologischen Landbaus „Pró-Orgânico“ deutlich erhöhen. Seit Ende 2003 existiert bei Mapa zudem eine Kammer, die die gesetzlichen Richtlinien für den Ökolandbau verbessern soll. Das Ministerium für landwirtschaftliche Entwicklung (MDA), das auch für die kleinbäuerliche Landwirtschaft und die Agrarreformsiedlungen zuständig ist, hat ebenfalls als Schwerpunkt die Unterstützung der nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktion definiert. Hier werden Strategien entwickelt zur Subventionierung der Zertifizierung, zur Herabsetzung der Steuern für Ökoprodukte und für die Kreditvergabe. Die nationale Behörde für Ankauf, Lagerung und Verteilung von Agrarprodukten unterstützt die Familienlandwirtschaft, indem sie für Bioprodukte bis zu 30 Prozent über dem Marktpreis zahlt.

Die brasilianische Bundesregierung sei sich des Markpotenzials von Bioprodukten bewusst, bilanziert auch Udo Censkowsky von „Mercabio“, einer Beratungsfirma im Bereich Ökolandbau, die im Auftrag der Nürnberg Global Fairs GmbH die Projektleitung für die BioFach América Latina übernommen hat. Diese findet im November 2005 zum dritten Mal in Rio de Janeiro statt. Censkowsky betont, dass die BioFach „vor der Haustür“ ein wichtiges Übungsfeld für die Kleinerzeuger sei, um dann auf dem „fernen“ Markt bestehen zu können. Aus seiner Sicht ist es der regionalen BioFach gelungen, die vormals zersplitterte Ökobewegung zusammenzubringen, sie zu professionalisieren und wichtige Netzwerke aufzubauen – ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung des lateinamerikanischen Biomarktes. Dennoch warnt Censkowsky vor überhöhten Erwartungen an den boomenden Biosektor: „Ökolandbau und Ökomarkt können das nach wie vor virulente Armutsproblem in Brasilien und Lateinamerika nicht lösen, aber eine umweltschonende, nachhaltige Entwicklung in der Landwirtschaft befördern.“