Bluthunde und blinde Hunde

Die Kontrahenten im Visa-Ausschuss kämpfen mit ungleichen Mitteln. Die schwarzen Fischer-Ankläger haben Akten – und legen täglich neue Fährten. Die rot-grünen Verteidiger merken: Akten wären gut

VON CHRISTIAN FÜLLER

Die Fährte verläuft ungefähr so. Die rot-grüne Regierung hatte bereits im Jahr 1999 die Schleusen geöffnet. Sie wies an, Einreisende mit Carnets de Touriste (Reiseschutzversicherungen) nicht näher zu prüfen. Die Botschafter in den GUS-Staaten ahnten, was folgen würde – ein (krimineller) Run auf Deutschland. Also organisierten die Diplomaten einen kleinen Aufstand gegen die Berliner Zentrale. Diese Minirebellion gegen die versponnene und zugleich gefährliche grüne Weltoffenheit aber schlug Außenminister Joschka Fischer nieder. Er verpflichtete seine Geschäftsträger darauf, bei Touristen „im Zweifel für die Reisefreiheit“ zu entscheiden („Volmer-Erlass“).

Diese Fährte legen die Unionsleute im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss für die Visa-Affäre, der heute wieder tagt. Die These klingt plausibel, sie erklärt, warum die Beamten in den Erlass aus dem März 2000 diese Formel einfügten: „Nach umfassender Prüfung unserer Visumpraxis hat Bundesminister Fischer Weisung erteilt.“ Das, so meinen die CDU-Ankläger um ihren Obmann Eckart von Klaeden, sei der Wink mit dem Zaunpfahl für ungehorsame Diplomaten gewesen. Denn die hatten – bei „saumäßiger Stimmung“ – gewarnt, der neue Kurs öffne dem Betrug Tür und Tor.

Das Pech für die Union: So geht die Geschichte nicht, jedenfalls nicht zeitlich. Denn der Aufstand der Botschafter fand nicht vor dem Volmer-Erlass statt. Vielmehr fand das Treffen der Rechts- und Konsularbeamten erst im Juni 2000 statt. Dass dort Kritik an der neuen Visumpraxis geübt worden sein mag, bestreitet nicht einmal das Auswärtige Amt. Aber Fischers Erlass als Diktat gegen die Botschafter hinzustellen, das verfängt nicht.

Entlastet das nun den Außenminister, den die Union im freundlichsten Fall der Beihilfe zur Schleuserei, im schlechtesten der Zuhälterei bezichtigt? Es entlastet ihn. Die Frage ist nur: Wie sehr? (siehe Kasten) So geht das im Ausschuss. Die Fischer-Ankläger aus der Union, wie Hans-Peter Uhl (CSU), kennen die Akten. Seit Jahren sammeln sie Material. Sie wirken wie Bluthunde, welche die Spur des beliebtesten und wichtigsten rot-grünen Politikers aufgenommen haben. Allerdings beißen sie, berauscht von ihren Dokumenten, nach allem und jedem, was des Weges kommt. „Wir müssen uns besser abstimmen“, gibt einer der Unionsleute zu.

Bei der Gegenseite ist es ganz anders. Da kennt man viele Akten noch gar nicht. Die rot-grünen Verteidiger wirken daher teilweise wie blind für die Vorhaltungen gegen den Außenminister. Weil die Akten entweder noch gar nicht vorliegen. Oder in den Händen der Union sind. „Wir werden es nicht zulassen“, so die Reaktion, „dass den Zeugen Vorhalte aus Dokumenten gemacht werden, die der Ausschuss noch nicht kennt.“

Dennoch legt auch die andere Seite Spuren. Eine Fährte geht ungefähr so: Nicht die weltoffene rot-grüne Regierung hat die Einreisepraxis reformiert, sondern schon der FDP-Außenminister. Klaus Kinkel habe mit dem ADAC vereinbart, die Prüfung von Reisezweck und Rückkehrbereitschaft bei Vorlage von Carnets de Touriste auszusetzen.

Auch diese These klingt plausibel. Sie wird gestützt durch die Tatsache, dass die ADAC-Partner in Osteuropa ihre Kunden beim Erwerb der Carnets auf Herz und Nieren prüften. Sie fragten nach einer Arbeitsbescheinigung, verlangten Gehaltszettel, ja kassierten sogar eine Kaution. Das alles spricht dafür, dass die rot-grüne Visumpraxis von ihren schwarz-gelben Vorgängern aufs Gleis gesetzt wurde. Allein, auch diese Fährte funktioniert nicht. Ein solcher Kinkel-Erlass ist nicht auffindbar, bislang jedenfalls.