Er liebt mich, er liebt mich nicht …

Chronologie einer angekündigten Annäherung: Ohne von ihren unterschiedlichen inhaltlichen Positionen abzurücken, üben sich US-Präsident George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder in Herzlichkeit. Doch der nächste Streit kommt bestimmt

BERLIN taz ■ Er ist weg. Der Ausnahmezustand in der Rhein-Main-Region ist aufgehoben, US-Präsident George W. Bush hat Deutschland verlassen, und beide Seiten können verbuchen, dass der Besuch genau das gebracht hat, was die Choreografie vorgesehen hatte: einen politklimatischen Neuanfang ohne substanzielle Veränderungen in den Positionen. Oder, wie es Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern bei der Pressekonferenz ausdrückte: Man hatte sich vorgenommen, nur über Gemeinsamkeiten zu sprechen.

Aber was ist das für eine „enge Allianz der Gemeinsamkeiten“, wenn schon ein Lächeln und ein freundlicher Händedruck nur zu haben sind, wenn die Meinungsverschiedenheiten ausgeklammert werden? Ganz einfach: Es ist eine Allianz, die den 150 Jahre alten Satz von Lord Palmerston widerspiegelt, dass Staaten keine permanenten Freunde haben, sondern nur permanente Interessen. Beide Seiten, die Deutschen als Europäer und die US-Amerikaner, haben ein Interesse daran, dass sich die Regierungen auf Dauer miteinander verständigen können – doch sie haben überhaupt kein Interesse daran, ihre Positionen aufzugeben. Also, Augen zu, Hand gedrückt und durch; der nächste Streit kommt bestimmt.

Was dabei öffentlich gesprochen wird, ist – sofern sich niemand danebenbenimmt – herzlich egal. Was Bush etwa zur Europäischen Union sagte, zur Nato, zu Deutschland und zum Vorgehen gegenüber Iran, ist nur genau so weit bedeutsam, wie seine Gesprächspartner ihm glauben – und das ist, da liegt die Erfahrung des Irakkrieges eben doch bleischwer im Magen, nicht sehr weit. Die gleichen Worte wären in Europa mit größter Begeisterung aufgenommen worden, wenn sie statt Bush ein gerade frisch gewählter US-Präsident John Kerry gesagt hätte. Auch Schröders energisch vorgetragener Satz, der Streit um den Irakkrieg gehöre nun aber wirklich der Vergangenheit an, hätte dann eine andere, logischere Grundlage gehabt. Doch in der Frage, wie es im Irak jetzt weitergehen soll, wäre der Druck auf die Europäer sogar noch viel größer und letztlich viel schwerer auszuhalten gewesen. Hatte doch Kerry klipp und klar erklärt, für ihn bestehe die Lösung des Irakproblems vor allem in der Einbeziehung der europäischen Verbündeten. Auch Bush will die Unterstützung der Europäer im Irak. Und mehr, als ihm in Brüssel zugesagt wurde, hätte auch Kerry nicht bekommen. Was für Bush ein Fortschritt ist, wäre für Kerry ein Desaster gewesen.

Auch alle anderen Konflikte wären geblieben – Kioto-Protokoll, Internationaler Strafgerichtshof, Waffenembargo gegen China, um nur die prominentesten zu nennen. Die bleiben auch so, verstärkt durch ein sachlich begründetes Misstrauen, das auch die netten Worte und das Händeschütteln nicht zu überbrücken vermögen. Und nicht zu vergessen: Beim ersten Berlinbesuch Bushs hatte der noch davon gesprochen, später mal mit Gerhard Schröder angeln gehen zu wollen – von derartigen Zärteleien sind beide noch meilenweit entfernt, und wenigstens das ist auch ehrlich.

Wie weit also reicht dieses bessere, aber lauwarme Klima? Bei den Bundesbürgern ist das ohnehin nicht angekommen. Nicht bei denen in der Region, die der Besuch in ein staatlich verordnetes Chaos stürzte, wie es nach einem mittelgroßen Terroranschlag kaum kompletter hätte sein können. Aber auch eine Mehrheit von zwei Dritteln der Bundesdeutschen hält neuesten Umfragen zufolge nach wie vor nichts von diesem US-amerikanischen Präsidenten – und da dürfte der Besuch nichts geändert haben.

Dennoch: Was der Besuch zeigen sollte, wird wohl vorerst Bestand haben – die Politiker wollen sich zukünftig streiten, ohne sich zu beschimpfen. Wenn es aus so einer Grundhaltung heraus gelänge, erstmals in beiderseitiger Anerkennung der eigenen Schwächen und Stärken, an der Lösung der drängenden Probleme zu arbeiten, dann wäre dieser Besuch, so symbolisch er auch daherkommt, doch zukunftsweisend. Nur: Man mag es nicht recht glauben. BERND PICKERT

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