LONG PLAYING RECORD Jukebox - Der musikalische Aszendent

Berlin, du bist so wunderbar?

Zur Berlinale streckte die Hauptstadt mal wieder stolzgeschwellt die Brust raus und ließ sich Lobhudeleien wie die von Kevin Spacey gefallen, der hier irgendeinen faszinierenden „Spirit“ bemerkt haben wollte und von den tollen Nachtclubs schwärmte, die ihn an die Fünfzigerjahre erinnerten. Na ja, das will man ja eigentlich nicht so gerne hören, sondern lieber Sätze wie: „Berlin ist wie New York in den 80er-Jahren“, aber egal. In der heimischen Musikszene macht sich allerdings gerade ein anderes Phänomen breit, nämlich das „Berlin-Bashing.“ Aber fangen wir von vorne an: In den Achtzigerjahren war Berlin nämlich eine Stadt, wo hauptsächlich Punks, Türken und übrig gebliebene Witwen wohnten. Studenten aus wohl behüteten bundesrepublikanischen Elternhäusern gingen nach Hamburg, München oder Düsseldorf und nicht wie heute nach Mitte, um zu studieren. Daraus machten Ideal ihren hymnischen Song „Berlin“, der das alternative Lebensgefühl feierte. In dem Song war selbst der Bahnhof Zoo schön, und nette Türken hielten Kontrolleure auf, die gerade ein Punkmädchen wegen einer fehlenden Fahrkarte verhaften wollten. Ja. So war das damals! Dann waren da noch David Bowie und auch U2, die sich inspirieren ließen, und alles war also gut. Bis die Mauer fiel. Da dudelte plötzlich zur Bierwerbung „Berlin, du bist so wunderbar“, und die Band Seeed machte ihrer Hauptstadtliebe mit „Dickes B“ Luft. Doch heute ist wieder alles anders. Heute gibt es Berlinhasslieder von Sido oder von Max Herre, der sich in „King vom Prenzlauer Berg“ an den neuen, sonnenbebrillten, ständig an einem Projekt (Drehbuch, Platte, Roman, Film) arbeitenden Bewohnern von Prenzlberg abarbeitet. Und das Schlimmste: Sogar kleine, unbekannte Bands aus Bielefeld wie die Punk Soul Loving Bills machen sich in ihren Liedern schon über den Hauptstadthype lustig.