Bundestag soll Europa regieren

CDU und CSU wollen die Bundesregierung in der Europapolitik stärker an Vorgaben des Bundestags binden. Rot-Grün lehnte dies in der ersten Parlamentsdebatte über die EU-Verfassung ab, denn Deutschland müsse in Brüssel „politikfähig“ bleiben

VON CHRISTIAN RATH

„Wir wollen ein Europa der Parlamente und kein Europa der Bürokraten“, forderte gestern der CSU-Außenpolitiker Gerd Müller im Bundestag. Die Union nutzte die erste Debatte über die Ratifizierung der Europäischen Verfassung, um mehr Rechte für den Bundestag zu fordern. Die Bundesregierung soll bei Verhandlungen in Brüssel an Vorgaben des Bundestags gebunden sein, so ein Gesetzentwurf der CDU/CSU.

Die Union stützt sich dabei auf das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1992. Damals erklärte Karlsruhe, dass die demokratische Legitimation der EU „zuvörderst“ über die nationalen Parlamente laufe. Diese kontrollierten die nationalen Regierungen bei den Verhandlungen im EU-Ministerrat, dem eigentlichen europäischen Gesetzgeber. Das Europäische Parlament habe daneben nur „ergänzende“ Kontroll- und Legitimationsaufgaben.

Wenn es nach dem Willen der Union geht, dürfte die Bundesregierung bei Abstimmungen im Rat nur noch aus „zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen“ von Vorgaben des Bundestags abweichen. Ähnliche Regelungen gibt es bereits in Österreich und Dänemark. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) warnte jedoch davor, die Verhandlungsspielräume der Bundesregierung zu sehr einzuengen. Deutschland müsse „politikfähig“ bleiben und im Rat Kompromisse mit den anderen Regierungen schließen können. Staatsminister Hans-Martin Bury (SPD) vermutete sogar, dass der Unions-Vorschlag selbst bei der CDU/CSU wenig populär sei, „jedenfalls bei denen, die sich noch an die eigene Regierungszeit erinnern“.

Tatsächlich argumentierte die Unions-Fraktion gestern recht widersprüchlich. Während CSU-Mann Müller einen Zusammenhang zwischen der Stärkung des Bundestags und der Zustimmung zur EU-Verfassung herstellte, sagte Fraktionsvize Wolfgang Schäuble (CDU), es gebe „keine Zweifel“ am Ja der Union zum Verfassungsvertrag. Die Mitwirkungsrechte des Bundestags sind seit einer Grundgesetzänderung im Jahr 1992 auch gar nicht so schlecht. Die Bundesregierung muss Stellungnahmen des Parlaments „berücksichtigen“. Und sie muss die Parlamentarier vor allem „frühzeitig und umfassend“ über alle EU-Vorhaben informieren. Von ihrem Mitwirkungsrecht machen die Abgeordneten allerdings nur bei drei bis fünf Prozent der Vorhaben Gebrauch, wie der SPD-Abgeordnete Michael Roth gestern kritisierte. Mehr Parlamentsrechte fordert die CDU/CSU unter anderem auch mit Blick auf den möglichen EU-Beitritt der Türkei. Der Bundestag soll schon vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gefragt werden. Die Regierung hält dies für unnötig. Es genüge, wenn das Parlament über den Beitritt neuer Staaten wie bisher nach Abschluss der Verhandlungen abstimme.

Für die EU-Verfassung zeichnet sich eine breite Mehrheit ab. Gegen die Verfassung will nur die PDS stimmen, sie hält den neuen Vertrag für neoliberal und militaristisch. Die FDP forderte gestern erneut eine Volksabstimmung, zog ihren Gesetzentwurf aber zurück, um auf einen besseren Zeitpunkt zu warten.