DIE ACHSE DER GERÄUSCHE VON TIM CASPAR BOEHME
Assoziieren

Was ist Post-Black Metal? Schwer zu sagen, aber auf Etikettierungen sollte man beim Debütalbum des schwedischen Klangpuristen Nana April Jun alias Christopher Lämgren nicht allzu streng achten. Sonst könnte einen sein bedeutungshubernder Albumtitel „The Ontology of Noise“ davon abhalten, die rein digital entstandenen wundersam mutierenden Klangströme voller Assoziationsangebote zu genießen. Im ersten Stück lässt Lämgren eine verzerrte Gitarre noch getragene Töne erzeugen, wenig später meint man, in freier Wildbahn zu stehen, um ganz am Ende auf große Autobahnfahrt zu gehen, ohne einmal an Kraftwerk denken zu müssen. Lämgren geht handelsunüblich vor, da er auf Arrangements und Mehrspurverfahren weitgehend verzichtet und meistens einen einzelnen Klang kontinuierlich bearbeitet. Mit diesem Verfahren erzeugt er fließende Geräusche, in denen so gut wie keine Melodien zu finden sind. Auch, wenn er mit seinen philosophischen Ambitionen gelegentlich übers Ziel hinaus schießt – ein Stücktitel wie „The One Substance“ trieft vor pseudoplatonischem Ideengedöns –, hat er doch eines seiner Ziele erreicht: Die filmischen Qualitäten von Geräuschen, denen er auf seinem Album nachspürt, lassen sich beim Hören wie von selbst entdecken. Ontologische Fragen kommen von selbst. Zuerst sollte man aber einfach zuhören.

■ Nana April Jun: „The Ontology of Noise“ (Touch)

Abstrahieren

Tony Buck gibt beim australischen Trio The Necks einen brillanten Schlagzeuger ab. Bisher brachte man ihn immer mit Improvisationsmusik der besonders ruhigen Art in Verbindung. Das könnte sich bald ändern, denn der Australier hat mehr als nur eine musikalische Leidenschaft. Für seine „Band“ Projekt Transmit nennt er sich nun mit vollständigem Namen Anthony Buck, so als wolle er unterstreichen, dass hier eine andere Seite seines Schaffens im Vordergrund steht. „Projekt Transmit“ frönt dem Rock in verfeinerter Rohheit. Schlichte Gitarrenriffs werden gegen zunehmend vertrackte Schlagzeugrhythmen gesetzt, um aus der allergrößten Abstraktion komplexe Songgebilde entstehen zu lassen. Auf Stücken wie dem Albumauftakt „What You Want“ gelingt die Balance zwischen Monotonie und ausgefeiltem Arrangement perfekt. Überraschend ist auch: Buck bedient sämtliche Instrumente – bis auf den Bass – selbst. Auf der Bühne kann man ihn an Gitarre und Gesang erleben, das Trommeln überlässt er anderen. Doch selbst wenn bei diesem Projekt die Gitarre im Vordergrund steht, haben die Instrumente hier in erster Linie rhythmische Funktion. Das gilt auch für seine Stimme, die Buck nicht ganz so virtuos beherrscht wie das Schlagzeugspiel. Als Rhythmuselement hingegen fügt auch sie sich widerstandslos in das Gesamtgefüge ein. Reduktion rules!

■ Projekt Transmit „s T“ (Staubgold)

Zerschreddern

Andreas Willers ist Gitarrist und Schüler von John Abercrombie. Auf seinen Alben spielen Jazzgrößen wie der Pianist Paul Bley mit. Ein Jazzgitarrist reinsten Wassers ist Willers trotzdem nicht. Darum nennt er sein Soloalbum auch „Ground Guitar Music“. Vielleicht wäre die eindeutigere Infinitivform „Grind“ zutreffender gewesen. Denn wie einst beim Grindcore geht es Willers um das Zerschreddern von Gitarrenklängen, auch wenn seine Mittel deutlich subtiler sind als die von klassischen Grindcorebands wie Napalm Death. Eine unheilsschwanger durchrumpelnde Doublebass wird man bei Willers demnach vergeblich suchen. Dafür zerlegt er die Töne seines Saiteninstruments mit diversen Effektgeräten, holt Loops aus den Klanggewittern und schichtet die Ergebnisse zu konzentrierten Miniaturen, überwiegend ohne Schlagzeug. Beim Improvisieren malt er in den unterschiedlichsten Klangfarben und scheint die Saiten von Stück zu Stück immer neu zu bearbeiten. Seine Gitarre klingt dabei oft von Mal zu Mal verschieden. Manchmal lässt Willers auch klare Melodielinien erklingen, und dann hört man ihn irgendwie doch noch, den Jazzgitarristen. Lange hält die Ruhe nicht vor, immer wieder platzt etwas Unvorhergesehenes aus den Loop-Kulissen. Und bei aller Entdeckungsfreudigkeit erkennt man stets Willers’ Handschrift. Mit so viel Feinsinn zermahlen nur wenige Musiker ihre Zutaten.

■ Andreas Willers: „Orange Years“ (Jazzwerkstatt)