bücher für randgruppen
: Lauter Katzismen

Unglaublich: Die Katze zwingt den Kater regelrecht zum Koitus – das schien für die gelehrte Welt jedenfalls lange festzustehen. Was wundert’s, dass die Katze als Begleiterin oder Inkarnation der so genannten Hexe lange Zeit geschmäht und verfolgt wurde. Der Wissenschaftstheoretiker und Philosophieprofessor Erhard Oeser untersucht in seinem Werk nun allerlei alte Missverständnisse, klassische Vorurteile und aktuelle Forschungsergebnisse im Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Katze, wobei selbstverständlich der Kater, das Männchen, nicht ausgelassen wird. Es ist die Kulturgeschichte eines Haustiers, das nie wirklich gezähmt wurde. Der Seele der Katze, ihrer scheinbaren Widersprüchlichkeit im Spiegelbild des Menschen gilt das Interesse des Autors, der wohl nicht zufällig in Wien wohnt – ob mit oder ohne Katze soll dabei keine Rolle spielen.

In Ägypten hoch verehrt und sorgfältig einbalsamiert, wurden diesem Tier in der Antike, bei den Griechen und Römern, alle bösartigen und verwerflichen Charakterzüge zugewiesen, die man ansonsten nur der Frau zusprach. Im Mittelalter wandelte sich das Image von Felis silvestris vom nützlichen Mäusefänger zur Wiedergeburt des Teufels. Bei den Germanen war die Katze immerhin das Tier von Freyja. Die Liebesgöttin war allerdings auch bekannt für ihre hemmungslose Lüsternheit, wenngleich diese Eigenschaft nicht unbedingt negativ vermerkt wurde. Im Islam treffen wir dann auf Mohammeds weiße Katze Muezza, die er sehr liebte. Als Mohammed zum Beten musste, sie aber friedlich auf seinen Armen schlief, schnitt er seinen Ärmel kurzerhand ab. Fanatische Katzenfreunde hätten also jeden Grund, zum Islam zu konvertieren.

Es ist wirklich traurig, zu lesen, dass in der Zeit Napoleons die riesigen Katzenfriedhöfe Ägyptens mit tausenden von Katzenmumien zu Dünger verarbeitet wurden. Diese Tat hat der Hauskatzenforschung schweren Schaden zugefügt, so Oeser, der mit vielen interessanten Details und bemerkenswerten Anekdoten aufwartet. Flüssig liest sich das und weckt Interesse. Am beeindruckendsten aber ist die Geschichte einer Hausmaus, die von einer Katzenmutti adoptiert und gesäugt wurde. Spannendes enthält auch das Kapitel „Verständnis und Missverständnis“, in dem die Beziehungen zwischen Hund und Katze, aber auch zwischen Hund- und Katzenliebhabern untersucht werden. Zu den Katzenhassern zählte sicher der französische Naturwissenschaftler und Hundefreund Buffon, der nahezu alle Vorurteile seiner Zeit übernommen und zur „schrecklichsten Verleumdung der Katze zusammengefasst hast, die überhaupt in der Wissenschaftsgeschichte bekannt ist“. Oeser spricht gar von „Antikatzismus“.

Im Kapitel „Die Katze als Vogelmörder“ wird dargelegt, dass auch dieser Vorwurf nur bedingt zutrifft. In den Trümmerfeldern der Freiburger Altstadt habe nach dem Krieg die Population der Rotschwänzchen zugenommen, obwohl deren Nester in den Trümmern für Katzen sehr leicht zu erreichen gewesen seien. Weniger Glück als die Freiburger Rotschwänzchen hatten die fünf bezaubernden Hänflingsjungen, die im Stachelbeerstrauch meines Elternhauses in Wolfsburg lebten und von der fetten Nachbarskatze hinterrücks vertilgt wurden. Immerhin teilte ihre Art nicht das Schicksal des flugunfähigen Zaunkönigs einer winzigen Insel, des Stephen Island Wren, dessen Gesamtpopulation von der Katze des Leuchtturmwärters 1895 entdeckt und in Rekordzeit ausgerottet wurde. Und auch nicht das der ersten Hausspatzen, die sich vor zwanzig Jahren in Island niederließen, eine Kolonie gründeten und fünf Jahre später in der Weihnachtszeit von einer Dorfkatze verspeist wurden.

Um solche Tragödien zu vermeiden, gibt es ja zum Glück die Katzenfutterindustrie, deren Bedeutung darzustellen in der überaus anregenden Lektüre nicht vergessen wird. WOLFGANG MÜLLER

Erhard Oeser: „Katze und Mensch“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, 192 Seiten, 29,90 Euro