Vom Vorleben eingeholt

Nach 17 Jahren scheint ein Doppelmord durch eine DNA-Probe aufgeklärt zu sein. Die mutmaßliche Täterin: früher Junkie, heute bürgerliche Hausfrau

Von Elke Spanner

Sie hat es geschafft. Sie ist im juristischen Sinne resozialisiert – ohne Einwirkung der Justiz. Brigitte F. nimmt keine Drogen mehr, geht nicht mehr auf den Strich. Sie hat zwei Kinder, ist verheiratet, führt seit Jahren ein bürgerliches Familienleben in Iserbrook. Jetzt aber dreht sich für die 41-Jährige die Geschichte zurück. Ein Alltag als Hausfrau und Mutter, das war einmal. Ihr soziales Umfeld besteht wieder aus Süchtigen und Kriminellen, wie sie es aus ihrem früheren Leben kennt. Vielleicht können ihre Kinder sie dort besuchen, im Gefängnis, in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis. Mehr aber auch nicht. Denn ihre Mutter, mussten sie erfahren, steht im dringenden Verdacht, eine Mörderin zu sein.

Mord vor 17 Jahren

17 Jahre ist es her, dass das Rentnerehepaar Elisabetha und Paul Landbeck in seiner Wohnung in der Altonaer Alten Königstraße ermordet aufgefunden wurde, bestialisch hingerichtet mit Messerstichen und Hammerschlägen. Alle aus dem Umfeld der Eheleute wurden damals vernommen, auch die Nachbarn, auch Brigitte F. Sie will in der Mordnacht nichts mitbekommen haben, gibt sie zu Protokoll. Indizien werden asserviert, Aussageprotokolle aufgenommen: nichts. Die Polizei klappt die Akten zu. Der Mordfall Landbeck, so scheint es, wird als ungeklärt in die Geschichte eingehen.

Doch Mord verjährt nie. Und in der Kriminaltechnik hat sich einiges getan: Inzwischen gibt es den genetischen Fingerabdruck, und die Hamburger Polizei entschließt sich, rund 40 ungeklärte Mordfälle noch einmal aufzurollen. Auch die Asservate, die damals bei den Landbecks genommen wurden, werden noch einmal aus dem Archiv geholt. Alle damals Verdächtigen bekommen eine Vorladung zum Speicheltest. Auch Brigitte F, die damalige Nachbarin, ist dabei. Am 5. August 2004, kurz nach der DNA-Probe, klingelt es an ihrer Wohnungstür in Iserbrook. „Ich habe Sie schon erwartet“, sagt sie der Polizei, als sie festgenommen wird. Ein in der Wohnung der Landbecks sichergestellter Damenhandschuh weist die DNA von Brigitte F. auf.

Jetzt, 17 Jahre später, gibt sie vor der Polizei zu, bei dem Doppelmord zumindest dabei gewesen zu sein. Ihr damaliger Freund aber habe zugestochen, nicht sie. Die Drogen waren alle, sie hätten dringend Stoff und dafür Geld gebraucht. Von starken Entzugserscheinungen gequält, sei sie Stefan B. hinterher in die Nachbarswohnung gekrochen. Als sie ankam, hätten die Landbecks schon „wie tot“ dagelegen, ermordet von ihrem Freund. Nur ein Mal habe sie selbst noch zugestochen. Der Mörder aber, sagt sie, war der Ex. Von Stefan B. aber hat die Polizei keine DNA-Spuren gefunden. Nach neunmonatiger Untersuchungshaft kommt er wieder frei. Brigitte F. wird angeklagt wegen Doppelmordes aus Habgier.

Man sieht Brigitte F. den durch die Festnahme erfolgten abrupten Wechsel von einem Leben ins andere an. Die Dauerwelle ist rausgewachsen, die leichte Blondierung der Haare lässt wieder zehn Zentimeter vom Ansatz frei. Dennoch wirkt sie gepflegt. Ihrem früheren Freund sitzt sie wieder gegenüber und zittert dabei wie Espenlaub. Der heutige Gebäudereiniger behauptet, über die Mordnacht nichts zu wissen, was das Gericht ihm nicht glaubt. Denn offenbar hatte er seine Ex-Freundin jahrelang mit dem Stichwort „Landbeck“ unter Druck gesetzt, wenn er Geld von ihr haben wollte.

Vergangenheit vor Gericht

In einer Prozesspause steht Brigitte F. mit Handschellen an eine Schließerin gefesselt auf dem Flur, bei beiden führt die freie Hand eine Zigarette an den Mund, man plaudert über die Gefahren als Beifahrerin im Autoverkehr. In ihrem Gesicht aber hat sich ein leidender Ausdruck festgesetzt. Und im Gericht weint sie fast pausenlos. Man weiß nicht, ob um die Eheleute Landbeck oder um sich selbst.

Im Saal muss Brigitte F. vor ZeugInnen ein Bild von ihrem Leben in der Vergangenheit zeichnen. Damals hat sie sich in einer Szene bewegt, in der man sich eine Zeit lang gegenseitig als „beste Freundin“ beschrieb und schon kurz darauf nicht mehr die Namen voneinander kannte. Jobs als „Animierdamen“ in dieser Bar und in jener, Zuhälterei, das ganze Programm. Und eben Drogen. Brigitte F. nahm damals Heroin und Kokain. In einem Maße, wie sie ihrer Freundin Stefanie W. später erzählte, dass sie manchmal nicht mehr wusste, was sie tat.

Zweifel an Schuldfähigkeit

Anfang der neunziger Jahre gab es ein Gespräch zwischen den Freundinnen, das Stefanie W. gut in Erinnerung hat. Brigitte F. war damals sehr niedergeschlagen, berichtet die Zeugin. Sie habe von ihrer Junkie-Zeit erzählt. Und davon, dass sie „mal jemanden umgebracht haben soll“, davon aber nichts mehr wisse.

Die Verteidigerinnen von Brigitte F. zielen darauf ab, dass die Angeklagte in der Tatnacht infolge ihres Drogenkonsums an einer „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ gelitten hat. Glaubt das Gericht, dass Brigitte F. nicht oder nur vermindert schuldfähig war, käme sie auch im Falle einer Verurteilung wegen Mordes mit einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe davon.

Und es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass Brigitte F. zumindest am Tattag stark unter Drogen stand. Denn am Morgen vor der Mordnacht des 21. 10. 1988 war sie noch bei ihrem Rechtsanwalt. Der aber warf sie nach wenigen Minuten wieder raus. Anschließend fertigte er einen Vermerk über den Besuch an, der nun vor dem Schwurgericht verlesen wurde. Brigitte F., schrieb der Rechtsanwalt damals, „schien durch mich hindurch zu starren. Auf Fragen reagierte sie gar nicht oder nur sehr kurz. Sie schien geistig völlig weggetreten.“

Der Prozess wird fortgesetzt.