Notwendiger Luxus

Am UKE gibt es das seltene Angebot der Supervision für Hebammen und Ärzte. Das verbessert die Psychohygiene und steigert die Effektivität der Arbeit, lobt Professor Michael Schulte-Markwort

„Es gab große Diskussionen, ob man das Angebot Supervision nicht zur Pflicht machen sollte“

Interview: Ulrike Krahnert

taz: Seit März 2004 leiten Sie die Supervision für die Hebammen der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin am UKE. Wieso ist Supervision für diese Berufsgruppe wichtig?

Michael Schulte-Markwort: Die Arbeit der Hebammen umfasst ein breites Spektrum: Manchmal geht es darum, gesunde Kinder zur Welt zu bringen, manchmal auch behinderte Kinder. Oder es geht darum, ein Kind tot zur Welt zu bringen und so etwas wie einen Trauer- und Abschiedsprozess mit den Eltern durchzuführen. Das sind Grenzerfahrungen zwischen Leben und Tod. Die Hebammen begegnen den Müttern und Eltern ja auch als Menschen, sie arbeiten immer auch mit den Gefühlen der Gebärenden und ihren Partnern. Da ist es nicht immer einfach, die professionelle Distanz zu wahren. Und natürlich verbessert sich die Qualität der Arbeit, wenn die eigene Psychohygiene besser organisiert ist. Das gilt auch für Krankenschwestern in der pädiatrischen Onkologie oder für Intensivschwestern, doch Supervisionsangebote gibt es für diese Berufsgruppen – wenn überhaupt – nur sehr selten, es herrscht da ein großer Mangel.

Was sind Ziele und Inhalte der Supervisionssitzungen?

Das Ziel ist immer, die eigene Haltung so zu professionalisieren, dass man gut mit der Arbeit zurechtkommt, egal wie schwierig die Konstellationen oder die Menschen sind, mit denen man zu tun hat. Auf dieser Station sind viele Teamaspekte vorrangig, es gibt auch aber Fallsupervisionen. Was inhaltlich bearbeitet wird, hängt davon ab, was die Hebammen gerade brauchen. Häufig geht es darum, mehr innere Distanz zu bestimmten Patientenkonstellationen zu bekommen, oder zu verstehen, warum man übermäßig involviert war.

Mit welchen Methoden arbeiten Sie?

Ich arbeite psychodramatisch. Psychodrama ist eine besondere Form der Gruppentherapie, bei der man zunächst weniger über die Dinge spricht, sondern sie szenisch darstellt, ähnlich wie ein erweitertes Rollenspiel. Das ist eine Methode, mit der man sehr schnell Zugang bekommt zu Gefühlen und Gedanken. Sie eignet sich hervorragend für die Gruppensituation und auch für Supervision.

Wie kann man sich so eine Sitzung vorstellen?

Im Psychodrama gibt es einen klassischen Ablauf, das beginnt mit dem Warming-Up, der Themenfindung. Das kann ein Teamthema sein, oder man entscheidet nach Emotionalität. Da erzählt etwa eine Hebamme, dass es schwierig war mit einer Mutter und ihrem toten Kind, das schon schrecklich verwest war. Die Hebamme hatte sich große Mühe gegeben und das Kind noch in ein Handtuch gewickelt hat, damit es für die Mutter nicht so schlimm aussah. Danach aber ist die Hebamme fast zusammengebrochen, auch weil es die zehnte Geburt in dieser Schicht war und sie völlig fertig. Wenn die anderen dann sagen „Ja, das rührt mich an, das Thema interessiert mich auch“, wird dieses Thema psychodramatisch umgesetzt. Danach kommt die Feedbackphase der Protagonisten und Antagonisten des Rollenspiels, am Ende kommt die allgemeine Runde, das Sharing, das miteinander Teilen. Da wird laut darüber nachgedacht, ob die anderen die nachgespielte Situation auch kennen, oder was man in so einer Situation tun könnte.

Ist die Teilnahme Angebot oder Pflicht für Hebammen?

Supervision gibt es am UKE nicht nur für die Hebammen, sondern auch für die Ärzte der Station. Es ist ein Angebot, doch es gab große Diskussionen darüber, ob man es nicht zur Pflicht machen sollte. Tatsächlich kann man Supervision nur schlecht verordnen. Man muss die Angst überwinden, über sich und über das, was einem in der Arbeit schwer fällt, zu sprechen. Da ist es manchmal besser, man macht die Supervision nur mit denen, die sie wirklich wollen, und ist dann effektiver, als wenn man jemanden dabei hat, der trotzig schweigt. Die Leitung sollte es dringend empfehlen, aber nicht anordnen.

Haben auch die Ärzte das Angebot angenommen?

Ja, das war auch gut so, weil es nicht selten allein durch die schwierige Berufsgruppenorganisation zu Konflikten kommt. Es geht immer um die Frage, wie viel die Hebamme alleine macht, wann sie den Arzt dazuholt, und welche Bedeutung sie noch hat, wenn der Arzt dabei ist. Es gibt Ärzte, die da arrogant reinrauschen und bestimmen, andere beziehen die Hebammen in Entscheidungsprozesse mit ein. Bezeichnenderweise haben an der Supervision nur die weiblichen Ärzte teilgenommen.

Wieso?

Männer haben mehr Angst vor Gefühlen, das erlebe ich in meiner Arbeit jeden Tag. Es gibt Ausnahmen, und ich zähle mich selbst auch dazu (lacht), aber es ist ein Geschlechtsstereotyp. Männer lösen Gefühle eher durch Handeln. Frauen sind eher bereit, Gefühle durch Ausdrücken, darüber Nachdenken oder durch Innehalten zu lösen.

Am UKE gibt es alle 14 Tage eine Stunde lang Supervision. Das ist nicht besonders viel.

Stimmt. Eigentlich müssten supervisorische Strukturen in den Alltag eingeflochten sein. Supervision müsste es einmal in der Woche geben, je nach Gruppengröße auch in unterschiedlichen Gruppenkonstellationen. Aber das läuft natürlich konträr zu dem betriebswirtschaftlichen Druck, dem wir alle ausgesetzt sind. Selbstverständlich erhöht Supervision die Arbeitszufriedenheit und die Effektivität, doch sie ist aufwendig und klingt immer so nach Luxus. Und so was setzt sich angesichts der Riesen-Schuldenberge in den Köpfen der Krankenhaus-Manager zu allerletzt durch. Ich glaube aber, dass so eine Sichtweise Gefahr läuft, zu unterschätzen, wie sehr sich eine gute Supervision im Betriebsergebnis niederschlagen kann.