Alles im Fluss

Ein Verlagswechsel und die Folgen: Imre Kertész, die Verlage Suhrkamp und Rowohlt und ein rotsehender Kritiker

Es ist erst ein paar Monate her, da veröffentlichte der Rowohlt Verlag mit „Detektivgeschichte“ ein neues Buch des ungarischen Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész. Das war kein neues Buch, sondern eines von 1976, lag aber nun erstmals auf Deutsch vor. An sich ein üblicher Vorgang, auch weil die Veröffentlichung auf Kertész’ 75. Geburtstag am 9. November abgestimmt war – wäre Imre Kertész nicht, nach langen Jahren bei Rowohlt, inzwischen bei Suhrkamp gelandet, wohin ihn der 2002 verstorbene Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld Ende der Neunzigerjahre gelockt hatte. Mit der Veröffentlichung der „Detektivgeschichte“ deutete sich an, was diese Woche nun amtlich wurde: Imre Kertész hat Suhrkamp verlassen und ist zu Rowohlt zurückgekehrt.

Auch das ein nicht ganz so ungewöhnlicher Vorgang – schließlich ist der stete Verlagswechsel von Autoren inzwischen die Norm und die lebenslang sich erstreckende Beziehung zwischen Autor und Verlag ein Auslaufmodell, selbst für die Großen: Man denke nur an Martin Walser (von Suhrkamp zu Rowohlt), Elfriede Jelinek (von Rowohlt zum Berlin Verlag) oder Christa Wolf (von Luchterhand zu Suhrkamp). Imre Kertész ist also in guter Gesellschaft. Und er hat sich – gewissermaßen gegen den Trend – für die logischste und sinnvollste verlegerische Fortsetzung seiner Arbeiten entschieden.

Für Aufsehen aber sorgte der Vorgang, weil der Suhrkamp Verlag Leid Tragender des Geschehens war. Das hieß nämlich für die angeschlossene Literaturkritik ein weiteres Mal, mahnendes Bedenkenträgertum zur Schau zu stellen. In Frankfurt etwa wurden die Sorgenfalten tief in die Stirn gelegt. Von einem „herben Schlag“ (FAZ) war die Rede, von der „Causa Suhrkamp“ (FR), vom Autorenexodus, der ja schon lange erwartet wird, aber noch immer nicht eingesetzt hat.

Bei der Welt in Berlin dagegen nutzte man den Kertész-Weggang, um das aktuelle Suhrkamp-Programm gleich mit zu verprügeln: „Eine kapitale Niederlage“ nannte Welt-Redakteur Tilman Krause die durch die Bank negative literaturkritische Rezeption des Hein-Romans „In seiner frühen Kindheit ein Garten“. Und bei der Veröffentlichung des neuen Romans von Andreas Maier seien gleich die „literarischen Qualitätsmaßstäbe“ verloren gegangen, da der Roman angeblich beim Wallstein Verlag, wo inzwischen der Ex-Suhrkamp-Lektor Thorsten Arend tätig ist, durchgefallen sei.

Allerdings hat Heins Roman trotz aller Schwächen und der tatsächlich peinlichen Bewerbung durch den Verlag anhand von Buchhändlerstimmen eine Menge Leser: Seit drei Wochen steht er in den Bestsellerlisten. Auch bei Maiers Roman „Kirillow“ liegen die Dinge anders, denn Thorsten Arend hätte ihn gern veröffentlicht. Nur meldete sich Maier nach den üblichen Umarbeitungsvorschlägen irgendwann nicht mehr bei Arend, da er es vorzog, bei Suhrkamp zu bleiben. Im Fall von „Kirillow“ scheint es eher, als habe Tilman Krause die eigenen literaturkritischen Qualitätsmaßstäbe verloren. Er verriss ihn letzte Woche allein deshalb, weil ihm das Personal des Romans nicht passte, „das ganze ungelüftete, unfrohe Volk, diese wohlstandsverwahrloste Klientel junger Leute, die, von der akademischen Freiheit vollkommen überfordert, ihre Zeit mit Nichtstun, Saufen und politischer Kannegießerei verbringen“. RAF-Sympathisanten bei Hein und „Chaoten“ bei Maier, und alle mit einer Stimme in einem Traditionshaus wie Suhrkamp vertreten: Da kann ein Sieburg-Fan und überzeugter Bildungsbürger wie Krause schon einmal nichts als rotsehen.

Abgesehen von allen Sorgen und anderen Verwerfungen lässt sich jedoch leicht ausmalen, dass die Baustellen bei Suhrkamp noch länger welche bleiben, dass da eben nicht schnell mal ein paar Führungspersönlichkeiten ausgetauscht werden und alles reibungslos weiterläuft.

Trotzdem ist viel Fluss, und es ist interessant, zu sehen, dass Suhrkamp Bücher wie den schönen Elektronische-Musik-Reader „Gendertronics“ und das des amerikanischen Antifolkmusikers Adam Green erfolgreich verlegt (über dessen Qualität man sich naturgemäß streiten kann) oder seine Basisbiografien zu etablieren sucht. Dass Letztere stark an Rowohlt-Monografien erinnern, ist eine Ironie des aktuellen Konkurrenzkampfes und beweist einmal mehr: Die Nase gerade vorn hat Rowohlt.

Dessen Leiter Alexander Fest übrigens zeigt nun, dass man einen Martin Walser und den Holocaust-Überlebenden Imre Kertész durchaus in einem Verlag verlegen kann – und der seinerzeit vom Feuilleton ins Spiel gebrachte Werktausch Walser–Kertész hypertroph-dunkles Geraune war. GERRIT BARTELS