Direkter Draht zu Lady Day

JAZZ Der New Yorker Jazz-Saxophonist James Carter stellt mit seinem Quintett sein neues Album „Present Tense“ vor. Darauf finden sich sogar Melodien, die Billie Holiday dem 39-Jährigen angeblich im sepiagetönten Traum vorgesungen hat

James Carter kann die gesamte Tradition des Saxophon im Jazz verkörpern

VON ROBERT MATTHIES

Als einen modernen „Saxophon-Gott“ hat das britische Hi-Fi UK-Magazin den 39-jährigen James Carter schon bezeichnet. Und tatsächlich ist der Reichtum an Ideen, das Ausmaß an Energie und die Technik des New Yorker Jazz-Saxophonisten geradezu unmenschlich. James Carter hat die beeindruckende Fähigkeit, die gesamte Tradition des Instruments im Jazz verkörpern zu können – und sie durch seine ganz eigene Perspektive zugleich in die Zukunft zu richten.

In jedem Fall ist Carter, der trotz seines noch jungen Alters mit seinem unorthodoxen Spiel seit 15 Jahren die Szene prägt, einer der herausragenden Saxophonisten der Gegenwart. In einer einzigen Phrase vereint der Multiinstrumentalist, der wie wenige seiner Kollegen die gesamte Palette des Instruments vom Bass- bis zum F-Mezzo-Saxophon beherrscht, mit Leichtigkeit das gesamte Stilrepertoire von Ben Webster bis Albert Ayler. Ohne dabei darauf zu verzichten, diese Tradition in eine ganz eigene Sprache zu übersetzen.

Carter lässt sein Instrument wütend growlen, springt leichtfüßig über atemberaubende Intervalle und nutzt allerlei unorthodoxe Klangeffekte. Dabei hat er durchaus Respekt vor der Tradition. Aber er möchte sie eben „remixen und mit der Zukunft der Musik in Einklang bringen“.

Wie im Fall des letzten Albums „Gold Sounds“, eine Hommage an die Indierocker „Pavement“ mit Übersetzungen von deren Songs in den Jazz. Ein schönes Beispiel für Carters Modern Creative-Stil findet sich aber auch auf seinem aktuellen Album „Present Tense“, das er am Dienstagabend mit seinem Quintett mit Cory Wilkes am Bass, Gerard Gibbs an der Perkussion, Ralphe Armstrong am Bass und Leonard King am Schlagzeug in der Fabrik präsentiert. „Song Of Delilah“, einst von Clifford Brown mit Sonny Rollins am Tenorsax eingespielt, hat Carter mit einem Auge in die Zukunft blickend neu zusammengebastelt und mit einem „Hip-Hop-Touch“ versehen.

Für sechs weitere der zehn Stücke auf „Present Tense“ hat sich Carter im Fundus des Jazz bedient. Und bei der Interpretation, wenn es der gebotene Respekt erfordert hat, durchaus Anstand wahren lassen. Aber auch bei den drei von Carter selbst geschriebenen Stücken streckt die Vergangenheit ihren Arm freundlich in Richtung Zukunft. Wie die hübsche Entstehungsgeschichte des Stückes „Sussa Nita“ deutlich macht. Denn dabei hat Carter angeblich niemand Geringeres als Lady Day höchstselbst geholfen. Die Idee, berichtet er, sei ihm in einem sepiagetönten Traum im November vor vier Jahren gekommen. In dem Traum dem war es Billie Holiday höchstselbst, die ihm die ersten Phrasen in einem Nachtclub vorsang. Carter wachte natürlich sofort auf und notierte alles. Einige Zeit später komponierte er das Stück fertig – und benannte es nach einer der Phrasen, die Billie Holiday ihm direkt ins Ohr gesungen hatte „Sussa Nita“.

Vielleicht ist das nur ein Marketingwitz. Aber wenn Carter am Dienstag in der Fabrik gespielt hat, wer wird dann noch Zweifel haben?

■ Di, 30. 6., 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36