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Archiv-Artikel

Zuchtmeister. Darling. Und Chef?

LINKE Mit Strenge hat Bodo Ramelow die Linke fusioniert. In Thüringen könnte er die SPD abhängen. Ist er der Mann, der auf Lafontaine folgt?

Bodo Ramelow

■ Leben: Bodo Ramelow wird 1956 in Osterholz- Scharmbeck geboren. Er ist das vierte Kind eines Kaufmanns. Als der Vater stirbt, zieht die Familie nach Hessen. Dort verlässt das „schwierige Kind“ Bodo nach der 9. Klasse die Schule.

■ Arbeit: In Lahn lernt er Einzelhandelskaufmann, danach holt er die zehnte Klasse und die Fachhochschulreife nach. Über die Jugendarbeit kommt er zur Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung. 1981 wird er Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen, 1990 HBV-Vorsitzender in Thüringen.

■ Familie: Bodo Ramelow hat zwei erwachsene Söhne und ist zum dritten Mal verheiratet. Seine Frau, Germana Alberti vom Hofe, 46, stammt aus Italien. Die Kommunikations- und Verhaltenstrainerin arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

VON ANJA MAIER

Er ist jetzt ganz dicht hinter ihnen. Von seinem Platz aus kann er sie genau beobachten: Lafontaine, den Polarisierer mit dem sorgfältig gelegten Grauhaar. Und Bisky, den Parteiopa, der den kantigen Kopf eng zwischen den Schultern hält. Bodo Ramelow sitzt zwischen den beiden Vorsitzenden – und hinter ihnen. Da, wo er hingehört.

Ramelow, 53 Jahre alt, ist stets beides: Westler und Ostler, Einpeitscher und Pragmatiker, die Quersumme aus Lafontaine und Bisky. Die Regie des Berliner Wahlparteitags der Linkspartei hat ihn genau richtig platziert. Zweite Reihe Mitte. Es ist ein guter Platz, die Kameras sollen ihn mit einfangen, wenn sie Lafontaine heranzoomen. Ramelow ist vielversprechender Spitzenkandidat in Thüringen.

Wenn nächsten Freitag die letzte Sitzungswoche des Bundestags vorbei ist, wenn die letzten Schlachten unter Schwarz-Rot geschlagen sind, wenn alle anderen in den Bundestagswahlkampf dieses Sommers ziehen, wird sich Bodo Ramelow auf Thüringen konzentrieren. Er will dort einen Rekord aufstellen. Bodo Ramelow, erster Ministerpräsident der Linkspartei.

Dafür hat der Kandidat eine Menge aufgegeben. Er hat seine Altbauwohnung in Berlin-Kreuzberg gekündigt und sich mit seiner Frau Germana und dem Jack-Russell-Terrier Attila in Erfurt eine Bleibe zwischen Staatskanzlei und Landtag gesucht. Er hat den „Geschmacksbestimmern und der besten aller Ehefrauen“ nachgegeben, indem er für den Wahlkampf seinen Gewerkschafter-Brilli aus dem Ohrläppchen gezogen hat und den goldenen Protzring vom linken kleinen Finger. Er hat sich eine jungenhafte Bürzelfrisur schneiden lassen und seinen sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl einem Parteilosen überlassen. Nun kurvt er landauf, landab zwischen Nordhausen und Suhl, Gera und Eisenach, um die Leute für sich zu begeistern. Er inszeniert sich als roter Ritter für Thüringen. Erst mal.

Ramelows Chancen standen, nun ja, schon besser. Die allein regierende Thüringer CDU und ihr Ministerpräsident Dieter Althaus hatten in ihrer Regierungszeit einiges vergeigt. Höchste Pro-Kopf-Verschuldung im Osten, Abwasser, Opel – überall klemmt es. Zusammen mit der SPD, mit 15 Prozent weit abgeschlagene dritte Kraft, schoss die 26-Prozent-PDS im Landtag gegen die CDU. Irgendwann war klar: Nach der nächsten Wahl regieren wir zusammen. Nur die Ministerpräsidentenfrage blieb strittig. Ein Dunkelroter in der Staatskanzlei? Möglich schien alles.

Dann fuhr Dieter Althaus am Neujahrstag eine Skifahrerin tot, und das Unbegreifliche geschah: Der Wintersportler gewann in den Umfragen Stimmen hinzu. Und nicht nur das, bei der Europawahl holte – anders als beim Bundesergebnis – sogar die SPD auf. Plötzlich liegen in Thüringen Linke und Sozis gleichauf, und SPD-Chef Matschie tut so, als hätte er die Linke nie nötig gehabt.

Die Althaus-Sache fuchst Ramelow. Auf seiner Berliner Bürocouch federt er bei dem Thema nach vorn, der Kaffee in seiner Marienkäfertasse schwappt. „So ein Ministerpräsident“, schnarrt er, „wird nicht mehr gemessen an seiner Arbeit und an den Ergebnissen seiner Arbeit. Das spielt alles keine Rolle mehr. Es geht nur noch darum, ob Althaus den Scheitel richtig rum hat.“

Er berechnet die Dinge gerne voraus. Das Unkalkulierbare, Gefühlige in der Politik nervt ihn.

Ob Staatskanzlei oder Landtag, Ministerpräsident oder Oppositionsführer – in beiden Fällen dürfte es gut für ihn weiterlaufen. So oder so empfiehlt Ramelow sich für die Parteiführung. Warum sonst tauscht er das aufregende Berlin gegen das überschaubare Erfurt. Er kann ja zurück. Zur Bundestagswahl 2013 wären Bisky und Lafontaine, die heutige Doppelspitze, zusammen einhunderteinundvierzig Jahre alt. Ramelow siebenundfünfzig.

Will er Lafontaines Nachfolger werden? „Ich kann mir alles Mögliche vorstellen. Das ist aber nicht an die Person Lafontaine gebunden. Jetzt heißt das Ziel Landespolitik.“

Warum bleibt er nicht in Berlin, im Zentrum der Macht? Wenn man ihn danach fragt, auf einer seiner Fahrten durchs Land, im Auto zwischen Gera und Eisenach, sagt er nur: „Ich finde Thüringen toll.“ Er guckt geradeaus, am Autofenster fliegen die Neubauten von Jena-Lobeda vorbei.

Thüringen ist ein Land, in dem die Menschen die kleinen den großen Zusammenhängen vorziehen und Traditionen schätzen. Ramelow kennt jedes Gasthaus und jeden Vereinsmeier. Er weiß, welche Gemeinde sich von einem windigen Investor eine Abwasseranlage hat aufschwatzen lassen, welche Stadttheater zerstritten sind und wo es die beste Thüringer Bratwurst gibt. Roster heißt die in Gera, am korrekten Verzehr erkennt der Thüringer seinesgleichen. Als im Bundestagswahlkampf 2005 Plakate auftauchten, auf denen Gerhard Schröder seine Roster mit einer Serviette hielt, um Thüringen-Verbundenheit zu demonstrieren, war jedem hier klar: Der ist keiner von uns.

Ramelow hält seine Roster richtig. Locker im Handgelenk, keine Serviette, ordentlich Senf. Bald zwanzig Jahre hatte er Zeit, das zu üben. Im Februar 1990 ist er aus Hessen nach Thüringen gekommen. Ramelow, damals 34 Jahre alt und von der Mutter seiner beiden Söhne getrennt, war Sekretär bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Sein Chef sagte, Bodo, fahr mal rüber nach Erfurt, da demonstrieren die Verkäuferinnen vom Centrum Warenhaus, die möchten, dass einer aus dem Westen kommt und erklärt, wie Gewerkschaftsarbeit geht. Ramelow reiste ein und nicht mehr aus. Noch im selben Jahr wurde er Thüringer HBV-Landesvorsitzender. Heute sagt er: „Ich gelte als ossifiziert.“

Es gab damals viel zu tun für Gewerkschafter. Westdeutsche Goldgräber machten sich daran, die Claims im Osten abzustecken. Sie sondierten die Lage und stellten erfreut fest, dass die Menschen im Anschlussgebiet nicht einmal den Unterschied zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kannten. Nach einem irren ersten Jahr, an dessen Ende die deutsch-deutsche Vereinigung stand, schlechtem Sex nicht unähnlich, war die rechtliche Grundlage fürs große Geschäft gelegt. Es kamen die Autohändler nach Thüringen, denen die Ostler noch mehr Gebrauchtwagen abkauften. Es kamen die Enteigneten, die Opas Manufaktur zurückwollten. Es kamen Betrüger, Begabte und Wohlmeinende. Und es kamen die Konzerne, um Absatzmärkte zu erschließen und die Konkurrenz auszuschalten.

Verloren in Bischofferode

„Meine Lehrerin hat gesagt, der ist stinkend faul. Da habe ich noch mehr Prügel gekriegt – aus Verzweiflung“

BODO RAMELOW

Ramelow protestierte mit den Verkäuferinnen, er erlebte, wie Konsum und HO, die zwei Handelsorganisationen, in die Knie gingen. Er düste durchs Land, schulte Leute, stritt sich mit Chefs. Er machte seine Arbeit, wurde auch mal laut, und als der Konsum Nordthüringen Insolvenz anmeldete, weinte er. Am Ende seiner Arbeit standen fast immer Niederlagen. „Aber das bedenke ich immer“, sagt er. „Ich überlege: Was machst du am Ende, an welcher Seite des Endes?“

Es gibt einen Ort in Thüringen, wo das Ende besonders bitter war. Bischofferode im Eichsfeld. Hier hat Bodo Ramelow eine Niederlage ausgehandelt, die ihn verändert hat. 1993 war das, die Kalibergleute hatten ihre Grube besetzt, um die Schließung durch die Treuhand zu verhindern. Im Sommer traten sie in den Hungerstreik, es ging ihnen um Arbeit und, ja, Würde. Am Jahresende mussten sie aufgeben. Da bestimmten die 900 Männer und Frauen Ramelow zu ihrem Verhandlungsführer.

Gerhard Jüttemann war damals stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Der energiegeladene Mann sitzt im Besprechungsraum des Kalivereins Bischofferode. Hier wird Bergmannstradition bewahrt. Selten kommen Radwanderer die stille Ortsstraße entlang und schauen sich das Museum an. Sie sehen Grubenlampen, Bilder von Kalikumpeln, auch die Protestplakate von damals, die Fotos der erschöpften Hungerstreikenden.

„Der Bodo“, erinnert sich der 57-Jährige, „war einfach irgendwann hier. Und anders als die Politikerfuzzis, die im Bundestag für unsere Abwicklung gestimmt haben, hat er uns keine Vorschriften gemacht. Ein Stratege noch und nöcher, manchmal haben wir mächtig Bauchschmerzen miteinander gehabt.“ Jüttemann grinst. Man kann sich gut vorstellen, wie der ostdeutsche Bergmann und der westdeutsche Kaufmann sich in die Wolle gekriegt haben.

Schaut man über Jüttemanns Schulter auf die gegenüberliegende Straßenseite, sieht man die alte Werksküche. Dort lagerten die hungerstreikenden Bergleute Weihnachten 1993, draußen waren zehn Grad minus, der Förderbetrieb war eingestellt, die Verhandlungsführer der Kali + Salz AG waren in den Weihnachtsurlaub gerauscht. Der Kampf: verloren.

„Ein ganz bitterer Moment war das“, erzählt Jüttemann. „Nur Bodo sagte, jetzt müssen wir verhandeln, dass wir nicht enthauptet rausgehen aus der Sache. Ganz ehrlich, für viele hier war er der Totengräber. Aber wir konnten froh sein, dass wir einen wie ihn hatten.“

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion fuhr eine Handvoll Bergleute in die stillgelegte Grube ein. Ramelow rief zuerst die Presse an. Dann die Geschäftsführer. Zwang sie, zurückzukommen und weiterzuverhandeln. Ein einmaliges Schmerzensgeld holte er am Ende raus, zwei Jahre Kündigungsschutz, eine Auffanggesellschaft, Umschulungen. Was halt die Spielräume sind, wenn man unterliegt. Als alles geklärt war, sprach Betriebsratsvize Jüttemann zu seinen Bergleuten von einem „Judaslohn“. Das hat Ramelow getroffen. Am nächsten Tag ist er zusammengebrochen.

In der Zeit danach, sagt er, hat er immer öfter erwogen, als Politiker gegen Verhältnisse anzugehen, die so etwas wie Bischofferode zulassen. Fünf Jahre sollte es noch dauern, dann trat er in die PDS ein. Gysi hatte ihn gefragt, er traute ihm eine Menge zu. Rasch wurde Ramelow Fraktionschef im Thüringer Landtag, 2004 trat er als Spitzenkandidat an, die PDS holte sagenhafte 26 Prozent. Ein Jahr später managte er den Bundestagswahlkampf, an dessen Ende PDS und WASG satte 8,7 Prozent bekamen.

Endlich muss Ramelow keine Niederlagen mehr aushandeln, man spürt auch bei seinen Thüringen-Auftritten, wie ihm das gefällt. Vielleicht macht ihn das für viele Genossen zum Darling: einem, mit dem es um das Neue geht, nicht um irgendein Früher.

2007 sollen PDS und WASG verschmolzen werden. Brave ostdeutsche Lokalpolitiker, stramme Trotzkisten, von Schröder vergraulte Sozis und Gewerkschafter. Wer soll die bloß an einen Tisch bringen? Die Wahl fällt auf Ramelow, den Partei-Hybriden. Er soll die Fusion aushandeln. Aber hallo! Endlich mal ein richtiger Anfang, kein Ende.

Fusionator der Linken

Und Bodo macht das. Er ist der Siegertyp, der den gebeutelten Genossen Erfolgsnachrichten beschert. Im Juni 2007 fusionieren WASG und Linkspartei.PDS zur Linken. Einen, der das hinkriegt, hält man sich warm.

Ramelows Weg

1 Parteieintritt: Gregor Gysi überzeugt den Westler Bodo Ramelow 1999, in die PDS einzutreten. Vorher war Ramelow Gewerkschafter in Thüringen, immer ging es darum, bei Insolvenzen und Arbeitskämpfen das Schlimmste abzuwenden. Jetzt möchte er politisch etwas bewegen.

2 Erfolge: Schon nach wenigen Jahren holt er für die Partei Siege heraus. 26 Prozent bei der Thüringen-Wahl 2004 und 8,7 Prozent bei der Wahl zum Bundestag 2005, bei der er den Wahlkampf managt. In Berlin wird er Vize der Linksfraktion.

3 Wahlkampf: Ramelow will in Thüringen die Wahl am 30. August gewinnen und erster Regierungschef seiner Partei werden. Mitte Juli wird er das „Schwarzbuch Thüringen“ vorlegen. Auf 200 Seiten listet es auf, wie im Freistaat „Postenhandel und mandatliche Rundumversorgung“ funktionieren, kurz: der „schwarze Filz“. Es informiert über Subventionsbetrug, nutzlose Bauten von Abwasserzweckverbänden oder Einsparungen an Thüringer Theatern in der CDU-Regierungszeit.

Womöglich stammt aus der Zeit der Fusionsgespräche sein Ruf, mit jedem zu können.

„Na ja“, rückt der ehemalige WASG-Vorsitzende Klaus Ernst das Bild gerade, „der hatte im Gegensatz zum Moderator Bisky ein rüdes Auftreten, manchmal hab ich gedacht, der Bodo frisst morgens schon Reißnägel.“ Petra Pau, damals bereits im Parteivorstand und in die Verhandlungen involviert, sagt: „Ramelow drückte aufs Tempo.“ Und Janine Wissler, WASG-Gründungsmitglied aus Hessen, erinnert sich, dass der Fusionator „auch mal auf den Tisch gehauen und gesagt hat: ‚Leute, jetzt reicht’s aber.‘ “ Manchmal, erzählt Klaus Ernst, habe der Ramelow vor Wut „schon sein Tascherl gepackt. Aber er ist immer wieder zurückgekommen.“

Der Westgewerkschafter, die PDS-Frau, die Trotzkistin – allen ist er mal komisch gekommen, manchen wie ein Zuchtmeister. Keiner beschwert sich deshalb.

Als Dieter Althaus’ Herausforderer könnte ihm diese Wut, das Hochfahrende, zum Verhängnis werden. Die Thüringer mögen Politik gern störungsfrei und geordnet, so kennen sie das vom alten Bernhard Vogel. Wenn Ramelow dieser Tage durchs Land zu seinen Wählern braust, die er mit Witz und Pathos beeindruckt, irritiert es, zu beobachten, wie rau sein Ton anderen gegenüber werden kann.

Auf der A 4 in Thüringen. „Ich kann eure Arbeit nicht auch noch machen“, raunzt er ins Handy einen Mitarbeiter an. „Karin, mach es, wie ich sage“, blafft er im nächsten Telefonat. Sägend und abweisend ist sein Ton. „Tschö, Karin“, dröhnt er in sein Handy, dann drückt er sie weg.

„Wer Entscheidungen fällt, der verletzt auch“, erläutert er. Sein größter Fehler? „Ich bin zu schnell für andere.“

Das war mal anders. Das Kind Bodo Ramelow war eines, das als langsam galt, als nicht besonders helle. Ein Schulversager. Ramelow ist Legastheniker, bis heute ist seine Rechtschreibung grottig. „Meine Lehrerin hat meiner Mutter immer gesagt, der ist intelligent, aber stinkend faul. Das Ergebnis war, dass ich noch mehr Prügel von ihr gekriegt habe, aus Verzweiflung.“ Erst bei dem jungen Erwachsenen wurde die Lese-Rechtschreib-Schwäche diagnostiziert. Heute urteilt er: „Ich bin Opfer einer Entwicklung, bei der eine Mutter vier Kinder versucht durchzubringen. Es gibt einen Vater, der ausfällt und ständig im Krankenhaus liegt, Geld, das nicht laufend reinkommt, eine Mutter, die nachts in die Spülküche ins Hotel geht. Und in dieser Situation fällt ein Kind völlig aus.“

Ramelow, eine Niete? Die Geschichte erzählt er gern. Lässig hängt er im Polster seines Berliner Bürosofas, die Arme vor der Brust verschränkt. Aufmerksam fixiert er sein Gegenüber. Wie kommt das an? Gut, gell?

Mit 14, die Familie ist vom niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck nach Marburg in Hessen umgezogen, verlässt er die Schule und lernt Kaufmann. Auch hier: Kränkungen. „Ich war klein und dick“, nimmt Bodo Ramelow den Faden wieder auf, „ich trug einen Kittel, der musste dreimal umgerollt werden, und Gummistiefel, da bin ich versunken. Das hatte was seltsam Komisches. Aber das hat mich gezwungen, einen Überlebenskampf mit mir selber zu organisieren.“ Er holt die Fachoberschule nach, dann die Fachhochschulreife, er will „Bildung haben“. Arbeitet bei Karstadt in Gießen, wird Filialleiter in Marburg, 1981 Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen. Acht Jahre später geht er in den Osten.

„Manchmal habe ich gedacht, der Bodo frisst morgens schon Reißnägel“ LINKE-POLITIKER KLAUS ERNST

Bis heute macht er „alles über den Kopf. Ich bin in der Lage, mir ein Redekonzept von 50 Seiten zu überlegen, und kann das komplett runterdiktieren.“ Nicht jeder kann und will mit so einem Alles-Checker. Vor sieben Jahren – in Erfurt hatte ein Gymnasiast 16 Menschen erschossen, die Stadt stand unter Schock – packte Ramelow bei einer Pressekonferenz scharfe Munition auf den Tisch. Die, sagte er in die Kameras, habe er sich gerade in der Stadt besorgt. Was als Fanal gegen das laxe deutsche Waffenrecht gedacht war, wirkte instinktlos und verstörte die Erfurter zusätzlich.

Seine Thüringer Genossen irritiert Ramelow regelmäßig mit Solidaritätsbekundungen für Stasiopfer, der Kritik an Mauerschützen oder mit seinem Bekenntnis, regelmäßig und gern den Gottesdienst in der Erfurter Martinikirche zu besuchen. Über seine Religiosität zu reden liebt er, man erkennt es an einem feinen Lächeln. Hättest du wohl nicht gedacht, sagt sein Gesicht.

Sein Hang zum Anderen, Auffälligen, zum Rabatz trägt ihm mitunter den Ruf der Herablassung ein. Er macht das eben alles immer so glänzend und perfekt, dass kaum Raum bleibt für andere. Ein Mitarbeiter formuliert es so: „Klar gibt es auch andere gute Leute in Thüringen. Aber warum sollten sie gegen ihn antreten? Ramelow ist immer schon da.“

Kämpfen um Thüringen

In den Thüringen-Umfragen liegt seine Partei jetzt bei 25 Prozent, die SPD bei 20. Plötzlich ist der blasse Christoph Matschie am Zug. Was, wenn der Althaus’ Steigbügelhalter wird?

Nach der Landtagswahl 2004 ist Ramelow zwei Wochen durch die Sahara gewandert. Diesmal ist sein Plan B der Pilgerweg von Loccum nach Volkenroda. Aber noch hofft er auf den ganz großen Wahlsieg. Dafür braust er durchs Land, frisst Kilometer, quatscht die Leute voll. Alle sollen ihn mal gesehen haben. Lesung mit Wladimir Kaminer, Straßenfest in Erfurt, Bürgerforum in Sondershausen, Kirchenbesuch in Herbsleben. Am Ende eines Vierzehnstundentages landet er in Gera. Seine Stimme ist schon kratzig, aber das Lächeln weiter makellos und der Roster-Appetit gesund. Es ist nach acht, in Erfurt wartet Germana auf ihn, sein Büroleiter klimpert mit dem Audi-Schlüssel, da entdeckt er in einer schattigen Ecke einen durch die Zeiten gekommenen Bronze-Lenin. Lenin! Linke! Ramelow! Krass! Geschwind klettert er ihm auf den Schoß und ruft quer über den Platz den Pressesprecher herbei: „Jan, mach mal ’n Foto!“

■ Anja Maier, Jahrgang 1965, ist sonntaz-Redakteurin. In Gera aß sie die beste Roster ihres Lebens. Natürlich mit Serviette