Gesucht: Hartz V, VI …

Um neue Arbeitsplätze zu schaffen, will der Wirtschaftsminister die Wirtschaft entlasten. Die Linke ist dagegen. Jetzt wird erst mal eine Studie erstellt

„Wir müssen jetzt ein Zeichen setzen für unsere Wähler. Nicht für die der anderen“

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Streit? Welcher Streit? Ach, die kleine Uneinigkeit zwischen Eichel und Clement? „Ausgeräumt“, erklärte Regierungssprecher Béla Anda gestern. Ein Gespräch beim Kanzler sei nicht mehr nötig. Es sei doch wohl „klar, wohin die Reise geht“.

Nein? Also gut, seufzte Anda: Finanzminister Hans Eichel erarbeite mit einem Arbeitskreis der SPD ein Steuerkonzept, mit dem man in den Wahlkampf 2006 ziehen wolle. Und der Sachverständigenrat, das auch „Fünf Weise“ genannte Gremium von Wirtschaftsprofessoren, lege Ende dieses Jahres sein Gutachten zur Unternehmensteuer und zu anderen Steuerfragen vor. Bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai jedoch werde sich die Regierung inklusive Wirtschaftsminister Wolfgang Clement weiterhin ganz der Hartz-IV-Arbeitsmarktreform widmen.

So weit die Verlautbarungslinie. Demnach ließe sich die rot-grüne Regierung nicht davon unter Druck setzen, dass die Wahl in NRW verloren zu gehen droht. Clement hätte kein Problem damit, täglich von der Wirtschaft mit Steuersenkungswünschen bestürmt zu werden. Und Eichel hätte kein Problem damit, dass derzeit alle außer ihm Finanzpolitik zu machen scheinen.

Dass es so nicht ist, liegt auf der Hand. Die Hartz IV-Umsetzung schien zunächst reibungslos zu laufen, dank der Flut in Fernost war die Medienaufmerksamkeit für mögliche Fehler zunächst gering.

Jetzt sieht das anders aus: Die Arbeitsmarktstatistik produziert grässliche Zahlen, und Clement muss erklären, wieso seine Schätzungen zu Be- und Entlastungen nicht zutreffen. Da geht er doch lieber in die Offensive. Seit Wochen schon verkündet der Wirtschaftsminister also, Steuerreformen seien noch vor der Bundestagswahl 2006 notwendig – insbesondere eine Senkung der Unternehmensteuern.

Nach dem beinahe vernichtenden Wahlergebnis in Schleswig-Holstein hat Clement noch einmal einen draufgelegt. „Unser Fehler zurzeit ist: Wir machen eine fiskalische Steuerpolitik, keine wirtschaftspolitische“, sagte er bei einer Programmdiskussion der SPD-Zentrale in Berlin. Was er meinte: Eichel soll sich nicht so neurotisch an seine Steuertöpfe klammern, sondern mithelfen, die Unternehmen zu päppeln. Worauf Eichel – vom Krankenbett – zurückhackte: „Die bloße Ankündigung von steuerpolitischen Schnellschüssen produziert nichts außer Verunsicherung und Investitionszurückhaltung.“

Vielleicht lässt Clement nun Eichel erst einmal in Ruhe. Doch die Idee, noch einmal ein Bündel politischer Maßnahmen zu präsentieren, um die Wirtschaft anzukurbeln, ist ja längst in der Welt. Einzelgesetze sind ohnehin in Arbeit: Etwa der schon vom Kanzler selbst dargestellte und gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erarbeitete Plan, Unternehmensgewinne, die nicht ausgeschüttet, sondern in die Firma reinvestiert werden, geringer zu besteuern. So soll der Erhalt oder sogar die Schaffung von Arbeitsplätzen belohnt werden.

Die Frage ist nur: Soll Rot-Grün noch einmal ein Paket schnüren und es „Steuerreform“ oder „Investitionsprogramm“ nennen? Und wenn ja: Verkauft man das vor oder nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen? Kann man mit Steuerpolitik überhaupt einen Blumentopf gewinnen?

Nicht von ungefähr erklärten gestern alle Ministeriums- wie Regierungssprecher mehrfach, wie „komplex“ die Unternehmensteuerfrage sei und dass es sicherlich seine Zeit brauche, bis dazu ein Konzept vorliege. Anhand der mehrstufigen „großen Steuerreform“, die Rot-Grün 2000 vorlegte und deren letzte Stufe Anfang 2005 gezündet wurde, hat die Regierung gelernt, wie undankbar Wähler sein können: Das Wahlvolk hat die realen Entlastungen nicht in Liebe umgemünzt, sondern mit den Belastungen der Gesundheitsreform verrechnet. Oder gar nicht bemerkt.

Eine Novelle der Unternehmensteuer, die die Wirtschaft entlastet, wäre mit der Partei gegenwärtig jedenfalls nicht zu machen. Parteichef Franz Müntefering selbst erklärte in einem Bericht an die Fraktion vor zehn Tagen: „Eine Reform der Unternehmensteuern darf nicht zu Lasten anderer öffentlicher Aufgaben gehen.“ Der schleswig-holsteinische Finanzminister Ralf Stegner (SPD) sagte gestern zur taz, selbst wenn noch vor der Bundestagswahl 2006 an der Unternehmensteuer gedreht werde, „die Aufkommensneutralität muss gesichert sein“. Soll heißen: Kein Euro weniger für die Staatskasse. Stegner sitzt auch in Eichels Arbeitsgruppe. Auch Plänen, den Steuersatz zwar zu senken, die Steuer aber auf breiterer Basis zu erheben, sodass nicht weniger, sondern mehr Geld herauskäme, erteilte Stegner eine Absage. „Sonntagsreden“, nannte er solche Beteuerungen. „Wir müssen jetzt endlich ein Zeichen setzen für unsere eigenen Wähler, nicht für die der anderen.“