joschka fischer
: Vom Olymp herabgestürzt

Das Unausdenkliche, es ist geschehen: Joschka Fischer ist vom Olymp des beliebtesten Politikers in die Niederungen herabgestürzt, wo politisches Kleingetier wie Wulff oder Merz sich tummeln. Und schon kommt Freude auf. Denn das Bedürfnis nach dem großen Staatsmann, der über unsere Geschicke wacht, wird stets durchkreuzt von dem ebenso großen Verlangen, die Mächtigen stürzen zu sehen, Opfer ihres Hochmuts. Wer noch vor kurzem Joschka publizistische Kränze flocht, erklärt uns jetzt, der Außenminister sei taub gegenüber Ratschlägen, ein selbstverliebter Autokrat, unverwundbar. Denkste.

KOMMENTARvon CHRISTIAN SEMLER

Mit Fischers Fall vom Beliebtheitsgipfel steht mehr auf dem Spiel als unser Unterhaltungsbedürfnis. Es geht um das Rollback einer Politik, die 1998 antrat, um durch eine großzügigere Einreisepolitik insbesondere gegenüber Osteuropa das Zusammenwachsen des Kontinents zu fördern. Solche Zielsetzungen werden jetzt seitens der Konservativen als ideologische Traumtänzereien abgetan. Das Primat der sicheren Grenzen wird mittels einer Propaganda durchgesetzt, die Zwangsprostitution, kriminelles Schleusen und Schwarzarbeit zu einem hypnotischen Angstsyndrom verdichtet.

Für diese Wende der Wegzeichen trägt nicht nur Fischer, sondern die ganze Partei der Bündnisgrünen die Verantwortung. Glaubte man etwa, sich des Regierungsapparats bedienen zu können wie eines Kochgeschirrs, mit Erlassen zur Liberalisierung der Visaerteilung zu hantieren, ohne gleichzeitig Vorsorge zu treffen durch Arbeit mit dem Konsulatspersonal, durch dessen personelle Aufstockung, durch die Eröffnung neuer Konsulate der absehbaren Probleme Herr zu werden? Glaubte man, die Anhänger einer Abschottungspolitik innerhalb und außerhalb der Bundesministerien würden untätig bleiben?

Fischers langes, arrogantes Schweigen angesichts der „Visa-Affäre“ drückt eine Haltung aus, die auf das schiere Gewicht von Regierungsämtern setzt, die die öffentliche Auseinandersetzung um politische Prinzipien ebenso scheut wie deren umsichtige, jedes Detail berücksichtigende Umsetzung in Regierungshandeln.

Mit Recht hat Dany Cohn-Bendit dieser Tage darauf hingewiesen, wie lächerlich sich das Wehgeschrei der Grünen angesichts der absehbaren CDU-Kampagne anhört. An den Grünen ist es, aufzudecken, selbst in die Öffentlichkeit zu gehen. Doch das Gegenteil geschieht.