Weisheit im Wüstensand

Wenn die Inszenierung sich wie Sand auf ein Stück legt: Uraufführung von Tankred Dorsts „Die Wüste“ am Dortmunder Schauspielhaus. Der alte Meister wollte da nicht mal Applaus

VON PETER ORTMANN

Dumpfes Rumoren, apokalyptische Kaltlichtwechsel und „Töte mich“ - Soundfiles. Das Ende findet schon am Anfang statt. Zu diesem Zeitpunkt weiß das im Publikum keiner; dass in der Realität das Ende auch ein Anfang war, nur die wenigsten. Das neue Stück von Tankred Dorst handelt vom Leben und Sterben des Charles Eugène Vicomte de Foucauld (1858 - 1916). Der gilt bei den Tuareg Nordafrikas immer noch als Heiliger, hat er sich zusätzlich um das Christentum verdient gemacht – der Spross einer der reichsten Adelsfamilien Frankreichs wird dafür im Mai selig gesprochen. Obwohl er auch ein typischer Vertreter seines Standes war: Lebemann, Frauenheld und Hurensohn.

Es ist für die Dorstsche Kunstfigur Foucauld ein überaus interessanter Weg von der Tändelei mit der französischen Hure in einem Hotel in Algier bis zur kryptischen Kreuzigung an einem Flugzeug in der Wüste. Warum der 80-Jährige, der gerade selbst in Bayreuth den Wagnerschen Ring inszeniert, diese Uraufführung ausgerechnet nach Dortmund gegeben hat, bleibt ebenso ein ungelöstes Rätsel, wie seine sprechenden Protagonisten Chamäleon, Webervogel und die Wüste selbst. Hermann Schmidt-Rahmer hat das interessant gebaute Stück pseudomodern kaputt-inszeniert und sich überflüssig über einfache Regieanweisungen und Szenenchoreografie des Autors hinweggesetzt.

Alles beginnt Anfang des 20. Jahrhundert im Hotel Molière in Algier. Foucauld ist Leutnant, als Adelspross in der Armee angesehen und verfügt über ausreichend Barmittel. Mit der Hure Mimi will er seinen Oberst diskreditieren, doch der Spaß fliegt auf und Foucauld aus der Armee. Er streift durch Nordafrika, sucht nach dem Sinn seines Lebens und dem Tod und findet – die Wüste und im Tuareg Ouksem einen Freund unter seinen Bewohnern. Auch das bald selige Vorbild hat diesen Weg beschritten, von dem Peter Sloterdijk im Programmheft schreibt, wenn es die Tugend der Heiligen sei, die Wüste herauszufordern, sei es die Tugend der Wüste, die heilsame Verzweiflung hervorzurufen. Heute beruhe aber der Komplex Westliche Zivilisation auf einer Absage an das Prinzip Wüste. Dorst lässt eine Frau im Jogginganzug aus einem zerfledderten Heft lesen, letzte Worte einer umgekommenen zeitgenössischen Wüstentouristin, die über den Tod der ganzen Reisegruppe berichtet. Und sie würde es wieder tun, Wüste sei eben phantastisch – doch das ist nicht das Prinzip Wüste über das Sloterdijk nachdachte. Aber auch kein Grund mit Sound-Loops das Stück zu zerhacken, schnell noch ein bisschen harte Neon-Attacken und der Ingenieur geht in der Wüste kacken – ein zugegeben billiger Reim für die ärgerlich überflüssigen Regieeinfälle.

Am Schluss ist aus dem Lebemann ein Heiliger geworden, der in der Wüste Gottes murmelndes Wort vernimmt und die Botschaft weitergeben will, ohne eine Seele zu beunruhigen. Sein Freund und Jünger Michel rennt in gleißende tödliche Wüste. Foucauld betet und tatsächlich verdunkelt sich die Sonne. Er ist ein Heiliger geworden und tot. Sein alter Armeefreund Laperrine befestigt den Leichnam wie den gekreuzigten Christus an seinem Flugzeug und sucht den Mörder. Es ist Ouksem, Foucaulds Beduinenfreund aus der Anfangsszene. Die Sandschleier, die am Schluss alle begraben – so ist die Wüste eben – hat der Regisseur dann nur noch audiophil inszeniert. Tankred Dorst ist, extra angereist, zum Beifall nicht auf der Bühne erschienen. Ein weises Stück, eine selbstverliebte Uraufführung. Hoffnung auf die nächste Inszenierung.

6. März, 18:00 Uhr, Theater DortmundKarten: 0231-5027222