Der SSW hat die Pflicht, seine Stimme in die Waagschale zu werfen
: Historische Ignoranz

Aufmerksam und deutlich irritiert wird in Dänemark verfolgt, was sich im südlichen Nachbarland derzeit tut. Es geht um die Frage, wie sehr der SSW, die Partei der dänischen Minderheit, mit seinen bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl errungenen Pfunden wuchern darf. Für Angriffe von Angela Merkel, Roland Koch und Co. auf den SSW findet sich dabei nicht einmal unter Parteifreunden in Kopenhagen und in konservativen Medien Verständnis. Die fragen sich eher, ob sich die Kritiker der Minderheitenrechte darüber im Klaren sind, welch historische Ignoranz sie beweisen.

Die Rechte der deutschen Minderheit in Dänemark und der dänischen Minderheit in Deutschland sind den Gruppen nach mehreren blutigen Grenzverschiebungen nach dem 2. Weltkrieg eingeräumt worden. Sie mussten gegen heftige Widerstände nationalistischer Kreise erkämpft und immer wieder verteidigt werden. Kopenhagen musste erst drohen, einen Nato-Beitritt der Bundesrepublik zu blockieren, bis Bonn bereit war, den DänInnen kulturelle und politische Minderheitenrechte einzuräumen. Und vor erst fünf Jahren versuchte die fremdenfeindliche Dänische Volkspartei gegen die Sonderstellung der deutschen Sprache in dänischen Schulen Stimmung zu machen.

Zugegeben: Ein Abgeordneter der deutschen Minderheit im dänischen Folketing war nie in eine ähnliche Schlüsselrolle geraten wie jetzt der SSW. Und dass zeitweise gerade mal 0,4 Prozent der Stimmen für einen Parlamentssitz ausreichten, wurde auch nie ernsthaft in Frage gestellt.

Die Repräsentation einer nationalen Minderheit solle sich zwar tunlichst zurückhalten, wenn es um die Regierungsbildung geht, sagen einige. Sie weisen aber auch darauf hin, dass der SSW mehr ist als eine Minderheitspartei. Er stellt gleichzeitig eine politische Richtung dar, will Elemente skandinavischer Wohlfahrtspolitik – Stichwort Schulpolitik – in Schleswig-Holstein verwirklicht sehen.

Der SSW hat mit einem Programm seine Stimmen gewonnen. Er hat deshalb nicht nur das Recht, seine zwei Sitze in die Waagschale zu legen. Er hat geradezu die Pflicht, es zu tun. REINHARD WOLFF