Demütig und wie gelähmt

Jetzt musste sich Joschka Fischer sogar von den ungeliebten Grünen an Rhein und Ruhr aufhelfen lassen. In den Jubel mischt sich Abschiedsstimmung

AUS KÖLN LUKAS WALLRAFF

Sie klatschen und klatschen. Er schluckt und weiß nicht so recht, wohin mit seinen Händen. Joschka Fischer schaut verlegen. Die Menschen hier haben alles, wirklich alles getan, um ihm bei seinem Visa-Affären-Befreiungsversuch zu helfen. Er faltet, fast schüchtern, die Hände zu einer Demutsgeste, wie es buddhistische Mönche tun. Danke, soll das wohl heißen. Danke, dass ihr zu mir haltet.

Fischer ist als reuiger Sünder hierher gekommen. Nach Köln-Gürzenich. Zu den NRW-Grünen. Um fünf vor zwölf steigt er auf die Bühne und sagt: „Wer hätte das gedacht, dass ich einmal fast in Rührung verfalle bei einer Begrüßung durch den Landesverband Nordrhein-Westfalen.“ Was das bedeutet, muss er nicht erklären. Er hat sich oft mit ihnen gestritten, mit den linken Grünen hier. Er hat verhindert, dass Bärbel Höhn, die Kosovokrieg-Gegnerin, die hier wie keine andere verehrt wird, Bundesministerin werden konnte. Jetzt braucht er sie. Er muss mit ihrer Hilfe Boden gutmachen, den ihm andere unter den Füßen weggezogen haben. Die Visa-Affäre, die er so lange unterschätzte, hat dafür gesorgt, dass Fischer selbst niedere Chargen der SPD gefährlich werden können. Dass ein Dieter Wiefelspütz drohen kann, Fischer sollte die Zuständigkeit für die Visapolitik entzogen werden. Gegen so etwas muss er sich jetzt wehren. Er braucht diesen Landesparteitag als „politische Bühne“, die ihm Höhn großzügigerweise anbot. Eine größere Demütigung kann es für ihn kaum geben.

Es ist noch nicht lange her, da hat ihn die Bild-Zeitung als nächsten UN-Generalsekretär vorgeschlagen. Da hat sie gefragt: „Was macht diesen Mann so sexy?“ Sexy war vor allem, dass er seine Macht so genussvoll zelebrierte. Durch demonstratives Gähnen auf Grünen-Parteitagen, wenn andere, Leute wie Höhn, sprachen. Durch langatmige Vorträge über die große weite Welt – oder durch gezielte Nadelstiche gegen alle, die seinen Realokurs nicht schnell genug mitmachten. Für die linken Weltverbesserer hatte er nur Verachtung übrig. Jetzt, an diesem Samstagmittag im Kölner Gürzenich-Saal, redet er ihnen nach dem Mund. „Ihr müsst euch nicht entschuldigen“, sagt er immer wieder. Er preist die Grünen mit Phrasen über die Partei der Menschenrechte und Weltoffenheit. Er lädt die Schuld für „zwei Fehler“ in der Visapolitik auf sich und erspart seiner Partei auch nur den Hauch von Selbstzweifeln an ihrer Politik. Wie man die offenkundig schwierige Balance zwischen Weltoffenheit und Sicherheit bewältigen könnte, sodass es auch die Wähler des Koalitionspartners SPD beruhigt? Kein Wort dazu von Fischer, kein Wort dazu auf dem Parteitag.

Fischer will in die Offensive gehen und wirkt doch wie gelähmt. Über die „unsägliche Kampagne“ der Union schimpfen – das kann auch Claudia Roth. Über andere Themen als die Visapolitik hätte er aber nicht reden können, sagen seine Berater, das wäre nicht gut angekommen. Am Samstag ging es vor allem darum, den verheerenden Eindruck zu korrigieren, den sein erstes Statement zur Visa-Affäre hinterließ. Damals schob er die Schuld auf seine Mitarbeiter. Jetzt spricht er über seine eigenen, endlich. Wie gravierend sie waren, welche Konsequenzen sie haben, „das müssen andere bewerten“, sagt er im Hinausgehen. Die grünen Strategen hoffen jetzt weniger auf seine Kraft, als auf die Kriminalstatistik. Die soll belegen, dass Fischers Fehler keine allzu schlimmen Folgen hatten. Statistisch. Als Patriarch der Grünen hat Fischer seine Abschiedsrede schon gehalten.