Erkenntnisse auf „Blaulichtparty“

Todesschuss auf Julio V.: BKA-Experte widerspricht der Version des angeklagten Polizisten. Schusskanal belegt Treffer in den Rücken. Zeugin berichtet von Absprachen

Peinlich! In die Ermittlungen um den polizeilichen Todesschuss auf den Einbrecher Julio V. am Heiligabend 2002 hat das Bundeskriminalamt (BKA) nach den Schlampereien des Hamburger Dezernats Interne Ermittlungen (DIE) offenbar das Zepter in die Hand genommen. Zumindest führten BKA-Experten voriges Wochenende in Eigenregie eine Tatort-Rekonstruktion durch, die das DIE vergessen hatte. Am gestrigen Abend nahm daraufhin das Gericht den Tatort Uhlenhorster Weg 55 bei einem Ortstermin unter die Lupe.

Eigenlich sollte der BKA-Ballistiker Bernd Salziger lediglich eine Schusskanalbestimmung durchführen. Dabei stützte er sich zunächst nur auf die Aktenlage der Spurensicherung und die Angaben des Todesschützen, Polizeikommissar Wolfgang Sch. (42). Der will in Notwehr gehandelt haben, vorgeworfen indes wird ihm fahrlässige Tötung. Doch die Fakten sprechen gegen Sch.‘s Version, Julio V. habe sich nach dem Sprung aus dem Flurfenster im Hof aufgerichtet, umgedreht und mit einer Schusswaffe auf ihn gezielt.

Daher nutzte der BKA-Experte seinen Tripp nach Hamburg zur gestrigen Zeugenaussage vor dem Amtsgericht St. Georg, um die Verhältnisse zu rekonstruieren und diverse Widersprüche zu Sch.‘s. Angaben zu formulieren. So würden die Lichtverhältnisse es nicht zulassen wahrzunehmen, „ob eine Person eine Waffe in der Hand hat“, sagt Salziger. Auch wie die Täter aus einem halb geöffneten Flügelfenster hätten springen können, sei ihm ebenso „schleierhaft“ wie die Position, aus der Sch. geschossen haben will: „Eine extrem unbequeme und schmerzhafte Lage.“

Auch seien dessen Angaben mit dem Schusskanal nicht vereinbar. Vielmehr sei dem Flüchtigen in den Rücken geschossen worden. Plausibel sei, „dass die Person nach dem Sprung in die Knie gegangen ist“. Für Nebenklagevertreter Manfred Getzmann ist Sch.‘s Version „nicht mehr haltbar“.

Irritationen erregte indes die von Amtsrichterin Reitzig unfreiwillig spontan geladene Zeugin Jennifer E. Die Rechtsreferendarin hatte sich vorige Woche in ein Rechtsgespräch vor dem Schwurgericht eingemischt, sie wisse von einem Polizisten, dass „die Lichtverhältnisse schlecht gewesen seien“ und die Beamten „ihr Aussageverhalten absprechen“ würden. Als sie diese Angaben präzisieren sollte, blockte sie ab: „Dann kann ich mich ja gleich erschießen.“

Auch gestern beteuerte E. zunächst, „falsch verstanden worden“ zu sein, selbst nach Reitzigs Hinweis, dass „bei einer Falschaussage ihre Karriere als Juristin schnell vorbei ist“. Von Getzmann erneut auf die Konsequenzen hingewiesen, gab sie zu, mit einem Polizisten „liiert“ zu sein und die Infos bei einer feuchtfröhlichen „Blaulichtparty“ in der Polizeischule aufgeschnappt zu haben. KAI VON APPEN