Doch noch Würde in Neuengamme

Pragmatisches Gedenken: CDU-Justizsenator Roger Kusch gibt den umstrittenen Knast-Standort auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme auf. Späte Einsicht, findet die Opposition, aber besser als gar keine

Von Elke Spanner

60 Jahre nach Kriegsende wird eine zentrale Forderung vieler KZ-Überlebender endlich erfüllt: Auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Neuengamme wird in absehbarer Zeit niemand mehr in Haft sitzen. Der Senat gab gestern bekannt, dass auch die sozialtherapeutische Vollzugsanstalt, die auf Dauer dort verbleiben sollte, aufgelöst wird. Laut Justizsenator Roger Kusch (CDU) wird damit dem Wunsch der Überlebenden- Organisation „Amicale Internationale“ Rechnung getragen, „ohne Abstriche an der Sicherheit des Hamburger Strafvollzuges zu machen“.

Glaubt man den gestrigen Bekundungen, dann hat die CDU von jeher nichts anders gewollt, als in Neuengamme eine reine Gedenkstätte zu betreiben. Auch die justizpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Viviane Spethmann, lobte, dass die Beendigung des Strafvollzuges in Neuengamme „ein Zeichen der Würdigung und Achtung aller Opfer“ sei. Kusch sagte, die Lage des Gefängnisses auf einem früheren KZ-Gelände habe er von jeher „unangemessen“ gefunden.

Das stimmt so allerdings nicht ganz: Bei Amtsantritt in der ersten Legislaturperiode hatten die CDU-Senatoren zusammen mit dem damaligen Regierungspartner Schill-Partei sogar beschlossen, eine vom rot-grünen Vorgängersenat mit der Amicale ausgehandelte Vereinbarung aufzukündigen und auch den Freigängerknast im ursprünglichen KZ-Stammlager zu belassen – der inzwischen doch verlegt wurde, nachdem der Senat sich der Kritik von Überlebenden-Organisationen aus der ganzen Welt ausgesetzt sah.

Insofern ist die jetzige Entscheidung wohl weniger auf Geschichtsbewusstsein als auf eine Fehlkalkulation der Gefangenenzahlen zurückzuführen: So führte Kusch als weiteren Entscheidungsanstoß auch an, dass die Anzahl der Strafgefangenen in Hamburg seit einem Jahr rückläufig ist. Deshalb seien die Haftplätze entbehrlich.

Dass diese Zahlen zurückgehen, hat allerdings allein den Justizsenator überrascht. Der Opposition war dieser Trend schon länger bekannt. „Das hat die SPD dem Senator seit Jahren vorgerechnet“, sagte gestern der justizpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Rolf-Dieter Klooß. Die jetzige Neuplanung der Justizlandschaft durch den Senat sei dessen Eingeständnis, dass „in der bisherigen Kalkulation die Gefangenenzahlen vollkommen falsch waren“. Im Ergebnis aber begrüßt die SPD-Fraktion die Entscheidung, in Neuengamme jeglichen Strafvollzug zu beenden. „Besser eine späte Einsicht als gar keine“, kommentierte der innenpolitische Sprecher Andreas Dressel, von einer „erzwungenen Umkehr des Senators“ sprach der GAL-Justizexperte Till Steffen.

Er warnte zugleich, dass die Neuplanung für die Gefangenen eine Verschlechterung mit sich bringt. Denn alle sozialtherapeutischen Anstalten der Stadt werden nun in Haus IV der JVA Fuhlsbüttel konzentriert. Laut Steffen bedeutet das „insgesamt weniger Therapie“. Zudem beinhalte Sozialtherapie die schrittweise Rückführung der Insassen in die Freiheit. „In einer geschlossenen Anstalt wie in Fuhlsbüttel ist das nur schlecht umzusetzen.“

Das hat sich auch schon im Gefängnisneubau in Billwerder gezeigt. Die dortige Station für Freigänger wurde nach nur wenigen Monaten wieder umgewidmet. Nach Fertigstellung der Gebäude werden dort 803 Haftplätze sein, alle im geschlossenen Vollzug. Und sollten die Gefangenenzahlen in Hamburg doch wieder ansteigen, verriet Kusch gestern in Billwerder, wird im Mammutknast einfach noch ein neuer Trakt dazugebaut.