Seitensprung im Alstertal

Wenn eine Hamburger Idylle von sexbesessenen Pressemenschen zerstört wird

Wenn man hier Volkssport macht, in Volksdorf, dann im Sportverein

Wenn die Werber und die Multimedia-Agenten kommen, die Hinterhofräume besetzen, die ehemaligen Fischfabriken, Druckereien oder Nähereien, wenn sie kommen und ihre dick gemachten Freundinnen mitbringen, wenn sie sich einrichten, das Leben nun zu dritt zu verbringen, gern auch mit Ehering in der Besucherritze – dann weiß man, dass es Zeit ist, zu gehen. Hamburg-Ottensen, durch die Niederlassung eines plakativen Hipnessgeschwaders innerhalb weniger Jahre zur präapokalyptischen Neubürgeridylle geformt, ist das Eppendorf der Gegenwart: der Stadtteil, wo alle leben wollen, um Teil einer Oberfläche zu sein. Meine neue Heimat heißt Volksdorf. In den so genannten Walddörfern gelegen, mit einer der höchsten CDU-Wähler-Raten im Großraum Hamburg und einer der höchsten Grün-Wähler-Raten. Ein Stadtteil wie ich: wertkonservativ und beschaulich.

Hier ist alles in Ordnung, hier geht alles seinen Gang. Hier liest man Rilke und Kästner, und das gern vor Publikum. Es gibt ein Museumsdorf. Um das kümmert man sich mittels eines Vereins. Man ist auch aktiv im Widerstand. Das halbe Dorf – so wird der geografische Kern des Ortes genannt – heißt „Weiße Rose“, und gute Menschen legen das ganze Jahr über Blumen am Gedenkstein ab. Am 22. Februar wird sich dort versammelt. Ausgelesene Bücher bringen die Volksdorfer in die Bücherhalle, und sie engagieren sich im „Haus der Natur“ oder im „Kulturkreis“. Ein FKK-Verein betreibt das hiesige Waldbad und duldet sogar Angezogene. Bis 18 Uhr. Kinder bekommen keine Ermäßigung, wenn sie ihren Schülerausweis vergessen haben. Die Volksdorfer kämpfen um eine „Rund um die Uhr Polizeiwache“. Kommt es doch immer wieder vor, dass sich Menschen Dinge aus Häusern holen, die ihnen gar nicht gehören. Die Chancen stehen gut – schließlich ist Hamburgs erster Bürgermeister, Ole von Beust, hier aufgewachsen.

Man kümmert sich. Und lässt den Nachbarn nicht allein. Man stellt seine Mülltonne auf seinen Grund nach der Leerung und schippt bereits um 4.30 Uhr in der Nacht Schnee, damit die Horden an Passanten, die zu dieser Stunde naturgemäß durch die Tempo-30-Zone toben, keinen Haxenbruch erleiden. Und während in Ottensen die Natur sich vornehmlich in Haufen von Hundescheiße zeigt, turnt in der Linde vor dem Fenster das Eichhörnchen, klopft der Grünspecht, frohlockt im Rasen der Maulwurf. Ab und an fährt der Planwagen des Museumsdorfes am Fenster vorbei. Dann klappern die Hufe, wie unweit der rauschende Bach. Kurz: ein vollendete Idylle.

Nun schlug in meine Idylle eine Bombe. Das Alstertal Magazin kam ins Haus. Ein Magazin für die an der Alster gelegenen Walddörfer, die so beschauliche Namen tragen wie „Duvenstedt“, „Poppenbüttel“ oder eben „Volksdorf“. Eines dieser Umsonsthefte, in Farbe gedruckt, geheftet und mit dem erkennbaren Anspruch, neben der Information auch ein wenig Unterhaltung zu bieten. Ein nackter weiblicher Busen ist darauf unschwer zu erkennen und – weit schlimmer noch, ein junger Mann, der seine Zunge ausfährt, daran zu lecken. Ich war schockiert. Und bin es noch. Ich bin doch nicht von dem Überangebot an Körperkult, dem Wochenendmagneten für Amüsierwütige und Marktplatz der Suchenden weggezogen, um ausgerechnet hier – in meiner bescheidenen Hütte zwischen Rilke und Eulengewölle – fickende Menschen auf dem Titel serviert zu bekommen! „Volkssport Seitensprung“ steht da, „Geht wirklich jeder Zweite im Alstertal fremd?“

Was soll das? Warum mir meine Idylle zerstören? Wenn man hier Volkssport macht, in Volksdorf, dann im Sportverein. Das ist nämlich der elftgrößte Hamburgs, und hier kann man sehr schön turnen und was für seine Gefäße tun. Und kaum sind drei Flocken Schnee gefallen, holt der Volksdorfer seine Langlauf-Ski heraus und gleitet damit durch die Straßen. Das tut der Volksdorfer.

Nicht einmal das Erwachsenen-Separee lohne sich, klagt der Videothekenbetreiber. Und überhaupt ist der ganze Artikel falsch angegangen. Befragen doch die Zeitungsmacher zehn Personen. Davon sind acht zwischen 17 und 20 Jahre, wovon sechs sich überhaupt nicht vorstellen können, jemals fremdzugehen. Ich meine, warum fragt man 17- und 18-jährige Schüler nach „Seitensprüngen“? Menschen im naivsten Liebesalter? Junge, unschuldige Teens, die vielleicht gerade die erste Liebe erleben und noch an die Kraft der Gefühle glauben?

So hätten die Blattmacher weniger die sympathischen Schüler befragen sollen als vielmehr deren Eltern. Und wer da nicht weiterkommt, der muss mal in aller Herrgottsfrühe Taxi fahren. Und einen jungen, müden Fahrer erwischen, der darauf giert, seine Schicht zu beenden. Der ist nämlich froh, sich ein bisschen zu unterhalten. Und den fragt man dann, wo er denn die Männer im Alstertal nachts so hinfährt und die Paare, die vorher noch geduscht haben!

Ganz sicher wird man danach so manche Villa in den Walddörfern anders betrachten. Selbst wenn sie keine Leuchtschrift an der Fassade haben.SILKE BURMESTER