DAS UN-TRIBUNAL GILT VIELEN EXJUGOSLAWEN ALS POLITISCH GELENKT
: Schuld tragen nur die anderen

Von den Opfern geliebt, von den Tätern gefürchtet, von vielen Politikern Exjugoslawiens als Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihrer Staaten empfunden, hat sich das UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien zu einer der wichtigsten politischen Institutionen für die Region gemausert. Ob nun ein Staat willig ist, mit der Chefanklägerin Carla del Ponte zu kooperieren oder nicht, davon hängen die dringend benötigte Wirtschaftshilfe und sogar die EU-Mitgliedschaft ab. Das Tribunal ist zum Instrument des Westens dafür geworden, nationalistisch-totalitäre Tendenzen auf dem Balkan in Schranken zu halten und demokratische Bestrebungen zu ermutigen. Ob es aber erreicht hat, eine „Bewältigung“ der Vergangenheit einzuleiten, ist fraglich.

Die kroatische Gesellschaft sträubt sich nach wie vor, sich von ihrem General Gotovina abzugrenzen. Und die Mehrheit der serbischen Gesellschaft empfindet Den Haag als Knüppel des Westens, um die serbische Nation zu demütigen. Die Hauptopfer des Krieges, die muslimischen Bosnier und auch die Kosovo-Albaner, empfinden es als ungerecht, wenn einer der ihren vor das Tribunal geladen wird. Die nationalistischen Kräfte all dieser Nationen verweisen gerne auf die Verbrechen der anderen und verschweigen die eigenen.

Immerhin ist der Aufschrei in der bosnisch-muslimischen Gesellschaft nach der Anklage gegen die Kommandeure der bosnischen Armee Rasim Delić und Sefer Halilović leise ausgefallen. Zwar beklagt die Zivilgesellschaft, dass mit Halilović der Falsche an den Pranger gestellt ist, kämpfte er doch für eine multikulturelle Armee. Und viele Muslime Bosniens haben sich schon während des Krieges von Delić distanziert, der den Mudschaheddin-Kämpfern freien Raum für Verbrechen gab. Doch werden die Anklagen des Tribunals auch als politische Regie empfunden, die Täter und Opfer doch auf eine Stufe hebt. Die Vermutung in Sarajevo also, Den Haag streue die Anklagen politisch, um allen Nationen gleichermaßen Schuld zuzuweisen, kann nur durch faire Verhandlungen selbst widerlegt werden. ERICH RATHFELDER