Beirut: Revolte gegen Syrien

Libanons prosyrische Interimsregierung tritt nach Massendemonstration in der Hauptstadt zurück. Zehntausende skandieren: „Freiheit“ und „Syrien raus“. Syrien verweigert Abzug

BEIRUT dpa/rtr/taz ■ Zwei Wochen nach dem Mordanschlag auf den früheren Regierungschef Rafik Hariri hat die Opposition in Libanon eine erste Machtprobe mit der prosyrischen Regierung in Beirut gewonnen. Nach den Massenprotesten am gestrigen Montag erklärte das Kabinett von Ministerpräsident Omar Karami am Abend überraschend den Rücktritt. Um zu vermeiden, dass die Regierung dem Wohle des Landes im Wege stehe, werde sie zurücktreten, erklärte Karami. Die Opposition rief ihre Anhänger auf, die Proteste trotz des Rücktritts fortzusetzen, bis alle syrischen Soldaten aus dem Libanon abgezogen seien.

Trotz eines Demonstrationsverbots hatten sich zuvor 70.000 Menschen im Zentrum der Hauptstadt versammelt. Viele hatten dort schon die Nacht verbracht. Im Parlament begann eine Sondersitzung, bei der die Opposition einen Misstrauensantrag gegen die Regierung stellen wollte. Demonstranten und Opposition machen Syrien und die eigene Regierung für den Mord an Hariri verantwortlich. Immer wieder skandierte die Menge mit Blick auf die syrische Militärpräsenz im Land: „Wir wollen Freiheit … Syrien raus!“ Unter den Demonstranten waren christliche und muslimische Jugendliche, die libanesische Flaggen schwenkten.

Im 128-sitzigen Parlament verfügt die Regierung zwar über eine sichere Mehrheit. Dennoch galt die Abstimmung über den Misstrauensantrag als entscheidender Test für das Kabinett Karami. Diesem Test aber hat sich die Regierung nicht mehr gestellt. Oppositionsführer Walid Dschumblatt rief die Abgeordneten auf, „ihrem Gewissen zu folgen“. Der Abgeordnete Marwan Hamadeh, der bei einem Attentat im vergangenen Oktober schwer verletzt wurde, forderte die Entlassung der Chefs von Polizei, Geheimdienst, Geheimpolizei und Präsidentengarde.

Syriens Präsident Baschar al-Assad bestritt erneut jede Verwicklung in das Attentat auf Hariri. „Das wäre für uns politischer Selbstmord“, sagte Assad in einem Interview der italienischen Tageszeitung La Repubblica. Auch in das Selbstmordattentat von Tel Aviv vom vergangenen Freitag sei Syrien nicht verwickelt. Zur Forderung der Demonstranten im Libanon nach einem syrischen Abzug sagte Assad: „Aus technischer Perspektive könnte der Abzug bis Ende des Jahres erfolgen. Aber aus strategischer Perspektive wird es erst dazu kommen, wenn wir ernst zu nehmende Garantien erhalten, in einem Wort: Frieden.“

Einen Angriff der USA auf sein Land wollte Assad aufgrund wachsender Spannungen nicht ausschließen. „Wenn Sie mich fragen, ob ich einen bewaffneten US-Angriff erwarte, so sehe ich einen solchen seit dem Ende des Irakkriegs kommen“, so Assad. Allerdings rechne er nicht unmittelbar mit einem Angriff. GB

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