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: HELMUT HÖGE über gute Locations

Die doppelten Berliner und die halbe Miete

Seit dem Umzug der Berlinale vom Zoo-Palast an den Potsdamer Platz ist die Paris-Bar nicht mehr so von Cineasten überlaufen. Deswegen horchten wir auch auf, als ein Mann am Nebentisch seiner Begleiterin auf die Frage, was er denn vorhabe, antwortete: „Ich will einen Film machen!“ Für seine Begleiterin schien das jedoch keine Überraschung zu sein – sie fragte nur zurück: „In Schwarzweiß oder Farbe?“ Das stand wohl noch nicht fest. Heraus kam kam dann aber, dass der Mann in Kalifornien lebte und genug Geld bekommen hatte, um einen Berlin-Film „15 Jahre nach dem Mauerfall“ zu drehen, wobei er jedoch noch auf der Suche nach „einer wirklich guten Geschichte“ war. Und das war auch der Grund, warum er mit der Frau in der Paris-Bar saß.

Sie war eine „Hauptstadt-Journalistin“, wie er sie nannte, und lebte bereits seit längerem hier. Vorher hatte sie in Köln gearbeitet, war dann aber nach Berlin versetzt worden – „anfangs gegen meinen Willen“, wie sie ihrem Gesprächspartner erzählte, um damit anzudeuten, dass sie „noch nicht so drin“ sei – in „diesen ganzen Berlin-Diskursen“. Der Mann kuckte sie daraufhin erstaunt an – und sie präzisierte: „Ich komm zu nichts, höchstens, dass ich nach Feierabend noch zur Kontaktpflege manchmal in eine Kneipen gehe, in denen sich Abgeordnete treffen.“ Sonst habe sie noch nicht viel mitgekriegt von der Stadt, außer dass sie mal mit einer Kollegin und deren Kinder in die zwei Berliner Zoos gegangen sei. „Erzähl mir was von den Zoos“, bat der Mann.

Es stellte sich heraus, dass ein Freund von ihm kurz nach der Wende schon einmal mit amerikanischem Geld einen „Berlin-Film“ gemacht hatte – auf die nämliche Art und Weise, indem er vor Ort eine „tragfähige Geschichte“ gesucht und gefunden hatte: „Ein Gefreiter der Roten Armee ist desertiert, als seine Einheit aus Berlin abgezogen wurde. Er versteckt sich im Tierpark Friedrichsfelde – und ernährt sich dort von dem, was die Tiere täglich kriegen. Irgendwann gelangt er in den Besitz einer Uniform – und betätigt sich fortan als Aufsichtsperson. Da gerade ein Hundeverbot im Tierpark durchgesetzt werden sollte, ermahnt er die Besucher, ihre Hunde nicht von der Leine zu lassen. Ansonsten macht er die Entdeckung, dass im Zoo nachts mehr los ist als am Tag. Das war die ganze Story, wobei man das mit der Uniform zuletzt sogar noch weggelassen hat …“

„Wer hat denn den Rotarmisten gespielt?“, wollte die Frau wissen. „Ich habs vergessen“, sagte der Mann, „der Film war ein Flop. Aber erzähl mir mehr von den Zoos, ich wusste gar nicht, dass es hier zwei gibt.“

„Es gibt hier alles doppelt“, meinte die Frau. „Alle kulturellen und sozialen Einrichtungen gibt es einmal im Westen und einmal im Osten. Sogar die Charaktere, Lebensentwürfe und Projekte. So trifft man zum Beispiel in einem Westberliner Supermarkt einen Mann aus dem Osten, der die Kunden auf Türkisch und Kurdisch begrüßt und ihnen beim Einpacken hilft – und umgekehrt gibt es im Osten in der vietnamesischen Großmarkthalle jemanden aus Westberlin, der sich nahezu komplett in die vietnamesische Szene integriert hat.“

„Das ist in Amerika nichts Ungewöhnliches“, unterbrach sie der Mann, „lass uns lieber noch mal auf die zwei Zoos zurückkommen…“

„Ihr scheint da drüben Berlin unbedingt mit ‚Hinter Gittern‘ identifizieren zu wollen“, meinte die Journalistin etwas spitz, „da könnte man auch zwei Gefängnisse nehmen, eins im Westen und eins im Osten. Die Ostler im Westknast sehnen sich zum Beispiel nach dem Ostknast zurück, weil da die Gefangenen untereinander angeblich mehr kommuniziert haben. Andererseits haben sie in den Westknästen mit dazu beigetragen, dass die Gefangenen sich jetzt landsmannschaftlich segregieren – in Afrikaner, Russen, Araber, Türken, Deutsche und so weiter…“

„In Amerika ist das schon lange üblich“, meinte der Mann – bereits etwas müde, wohl weil das Gespräch immer wieder auf Europa/Amerika hinauslauf.

„Interessieren dich die Ost-West-Probleme in Berlin eigentlich?“, fragte die Frau.

„Not really,“ bekam sie zur Antwort, es sei jedoch sehr freundlich von ihr, dass sie sich die Zeit für ein Gespräch darüber genommen habe. „Lass uns noch was trinken – und vergiss die Filmidee, ist nicht so wichtig, ich hab schon einige Autoren darauf angesetzt. Eigentlich brauch ich jetzt nur noch ein paar gute Drehorte.“ „Aber wofür?“, fragte die Frau – schon fast verzweifelt.

„Eine gute Location ist bereits die halbe Miete“, bekam sie zur Antwort.