Die Botschaft der Schönheit

MODELS Dagmar Puls, Ex-Exquisit-Mode-Model, ist heute Agenturchefin

„In der DDR gab es keine Topmodels. Wir waren namenlos“, erinnert sich Puls

VON KATJA KOLLMANN

„Wir wollen keine superdünnen Models.“ Ruhig formuliert Dagmar Puls diesen Satz und blickt die 17 jungen Menschen, die zum Probetraining in das Studio der Agentur Puls Models gekommen sind, aufmunternd an. „Ab 90 cm Hüftumfang ist okay“, präzisiert sie ihre Aussage. Sie steht im Gegensatz zum Trend, denn in den letzten Jahren sind die brancheninternen Idealmaße eines Models neu definiert worden: 87-58-88 (Brust, Taille, Hüfte) statt 90-60-90. Eine absurde Folge dieses Diktats ist, dass inzwischen namhafte Modezeitschriften nach den Fotoaufnahmen die Körperfülle der Models nachträglich retuschieren, damit diese fülliger und somit gesünder aussehen.

Die Puls Models sind zwar schlank, aber nicht dürr. Und nur eines der vier Models, die der Agenturchefin beim Probetraining assistieren, ist über 1,75 cm groß. Die 17 TeilnehmerInnen des Trainings lesen sich wie ein bunter Querschnitt durch die Gesellschaft. Bei den Frauen gibt es alle Nuancen von der fast transparent wirkenden Blondine bis zur Dunkelhäutigen mit afrikanischen Vorfahren. Bei den männlichen Modelkandidaten steht der grazile Jüngling mit dem schulterlangen Haar neben dem stämmigen Halbstarken mit der Igelfrisur. Die neun Männer, darunter drei türkischstämmige, spiegeln einen internationalen Trend wider, wonach immer mehr Männer ins Modelbusiness streben.

„Wann ist ein Mensch schön?“, möchte Dagmar Puls von den künftigen Models wissen. Ihre persönliche Antwort gibt sie wenig später: „In dem Moment, in dem er entspannt ist und liebt.“ Danach wirft sie in die Stille des Studios an der Schönhauser Allee ihre Definition des Modelberufs: „Ein Model muss die Botschaft von der Schönheit an sich rüberbringen.“ Das wiederum könne nur mit Handwerk gelingen, betont die 46-Jährige. Anschließend versuchen sich die Anwärter am Schaulaufen. Sie staksen ungelenk, gehen zu schnell und lassen die Arme baumeln. Dann positioniert sich Tina, seit einigen Jahren Model der Agentur. Sie richtet ihren blonden Lockenschopf aus, fixiert einen imaginären Zuschauer in der Weite des Raumes und schiebt die Hüfte nach rechts. Und während sie nach vorne schreitet, füllt sie das kleine Studio mit einer klirrenden Aura. „Modeln ist ein nüchterner Arbeitsprozess, der mit einem schönen Ergebnis endet“, kommentiert Dagmar Puls den Auftritt trocken und lässt ahnen, wie viel Arbeit hinter so einem federleichten Auftritt steckt.

Dagmar Puls trainiert Models. Sie choreografiert Modenschauen. Und sie leitet eine Modelagentur, obwohl sie eigentlich mit dieser Branche nie etwas zu tun haben wollte. Als junges Mädchen zieht sie aus Neubrandenburg nach Ostberlin und wird dort im Jahre 1982 von Ulrike Vogt, einer leitenden Mitarbeiterin der DDR-Luxusmarke Exquisit, und unabhängig davon kurz darauf vom Ehemann Lisa Schädlichs, einer Redakteurin der Zeitschrift Sybille, aufgefordert, als Model zu arbeiten. Spontan lehnt Dagmar Puls ab. Zu oberflächlich, zu unintellektuell scheint ihr dieser Beruf. Dann aber reizt sie der Laufsteg als Bühne, und sie modelt in den 80er-Jahren für Exquisit und andere Luxusmarken des Ostblocks. Heute wäre ein Model mit vergleichbarem Status ein Topmodel. 1992 eröffnet Dagmar Puls in der Oranienburger Straße ihre Modelschule.

Längst hat sich die Schule zur Model- und Eventagentur gemausert. Schon 1995 liefen Puls Models für Coca-Cola vor dem verhüllten Reichstag. International agierende Firmen wie L’Oréal, Schwarzkopf und Wella buchen die Models aus Prenzlauer Berg immer wieder gern für Messen. 2009, 20 Jahre nach dem Mauerfall, präsentieren die Models die „Mauerkleider“ des Berliner Modedesigners Daniel Rodan. Stacheldraht, ein hellblauer Trabi und das Signalwort Berlin präsentieren die, die das geteilte Berlin nicht mehr kennen, auf Leder. Sie interessiere sich nicht wirklich für Mode, sagt Dagmar Puls, aber immer wieder für das stille Schauspiel auf dem Laufsteg – und für die Menschen, die sie ausbildet. „Ich habe Lust, mit jungen Menschen zu arbeiten. Die geben mir so viel“, bekennt sie. Die Jungen wiederum nehmen von Dagmar Puls. Und hören ihr beim Probetraining fast andächtig zu.

Dabei redet die Agenturchefin im Grunde über Selbstverständliches: Die Arbeit solle für die künftigen Models nicht vergeudete Lebenszeit sein. Nachdrücklich plädiert sie dafür, im Menschen die ganze Person, nicht nur seine Arbeitskraft zu sehen. Dagmar Puls spricht, als würde sie das ausgesprochene Wort immer mitdenken, hinterfragen und auf die potenzielle Realisierung abklopfen. Nicht nur das verleiht ihren schönen Absichten Glaubwürdigkeit. Sie schafft in ihrem Studio eine Atmosphäre, die vom Miteinander geprägt ist. Ihre natürliche Autorität lehrt die jungen schönen Menschen Solidarität und Toleranz.

Für Dagmar Puls ist professionelles Modeln die gelungene Vereinigung von Handwerk und Emotion. Sie begegnet ihren Schülern und Models mit Respekt und Ernsthaftigkeit. Das sind Werte, die im Kontext dieser Branche und der allgemeinen Arbeitsmarktlage alles andere als opportun scheinen. Dagmar Puls aber kultiviert sie bewusst in ihrer Agentur. Die Models nehmen sie mit zu ihren Auftraggebern und haben mit den berühmt-berüchtigten Sekundärtugenden Pünktlichkeit, Disziplin und Höflichkeit Erfolg. Diese Eigenschaften aber sind nicht Ergebnis eines Drills, sondern die Folge einer Umgebung, in der Menschlichkeit das Miteinander bestimmt.