Eiskaltes Hochgefühl

Die Bahn verspätet sich, viele erkälten sich, die Kühe geben weniger Milch. Doch während ganz Deutschland bibbert, freut sich Deutschlands coolster Meteorologe über den Kälte-Minusrekord

AUS DEM ALLGÄU KLAUS WITTMANN

„Ich finde das toll, es war einfach herrlich, als ich bei uns in Nürnberg minus 24 Grad Bodentemperatur gemessen habe“, freut sich Reinhardt Wurzel. Der Hobbymeteorologe und Journalist kann von eisiger Kälte nicht genug bekommen. Zweimal schon war er im kältesten Dorf der Welt, in Oimjakon in Nordsibirien. 71,2 Grad minus wurden dort schon mal als Tiefsttemperatur gemessen. Minus 60 Grad sind im Winter normal. Am Funtensee in Bayern waren es vergangene Nacht 44 Grad, auch nicht übel! Aber noch immer fehlen 10 Grad, damit Schüler in Sibirien schulfrei bekommen, das gibt es nämlich erst ab 54 Grad unter null.

Ganz anders hierzulande. Ausgedünnte Schulklassen, zahlreiche Krankmeldungen und eisbedingte Störungen allenthalben. Vielfach lag es einfach daran, dass Autos nicht ansprangen und Züge verspätet fuhren. Bayern war in der Nacht zum 1. März Deutschlands Kältepol.

24 Grad minus am Flughafen München und erhebliche Probleme bei der Bahn AG. Bei Augsburg war's am schlimmsten: Oberleitungsschaden, und schon war der Berufsverkehr in die Landeshauptstadt erheblich beeinträchtigt. Züge mussten über Donauwörth und Ingolstadt umgeleitet werden. Nicht viel besser sah es bei der Münchener S-Bahn aus.

„Aber es gab auch bundesweit Verspätungen, und wir müssen ehrlich sagen, dass diese Eiseskälte uns durchaus zu schaffen macht“, meint ein Bahnsprecher in München und verweist auf Eisbrocken, die von Zügen auf die Weichen fallen. Die beste Weichenheizung nütze da nichts mehr. Apropos Heizung: vorsorglich hat der deutsche Mieterbund darauf hingewiesen, dass Vermieter die Zentralheizung tagsüber auf mindestens 20 bis 22 Grad einstellen müssen, nachts reichen 18 Grad.

Eine zusätzliche Heizung hat sich so mancher Stand auf den Wochenmärkten für den kältesten Dienstag seit langem mitgebracht. „Wir haben unseren Marktstand heute gar nicht aufgebaut, unter minus 15 Grad ist es einfach zu kalt“, sagt Erika Stetter, die sonst bei jeder Witterung auf dem Memminger Wochenmarkt steht. Die Gärtnersfrau hat noch einige Tipps für GemüseeinkäuferInnen bei Eiseskälte: Nicht zu lange ratschen auf dem Weg zum Parkhaus – die dünne Stofftasche ist kälteanfällig. „Ich empfehle, vor allem Salat, Gurken und Tomaten daheim langsam an die Wärme zu gewöhnen und nicht gleich in die Küche zu bringen.“ Immer wieder passiere es, dass das Gemüse durch die Kälte verdirbt. „In der Sonne laufen hilft da schon, und nicht zu lange stehen bleiben. Wenn's passiert ist, wird der Salatkopf schwarz, dann ist es zu spät“, sagt die erfahrene Marktfrau.

Doch nicht nur der Süden Deutschlands bibberte, auch der Rest der Republik fror sich durch die Nacht und den Tag. Im Zoo von Hannover sorgten liebevolle Tierpfleger dafür, dass Löwen, Leoparden und Geparden nicht zu sehr frieren mussten. „Wir haben Wärmeplatten ins Außengehege eingebaut“, berichtet eine Tiergartensprecherin.

Wärmeplatten brauchen Kühe nicht, denn sie sind Kälte an sich gewöhnt und haben damit kaum Probleme, zumindest nicht bis etwa 15 Grad minus, erklärt der Unterallgäuer Bauer Andreas Blank. „Aber heute Morgen kam die Oma und sagte, dass unsere Kühe schon deutlich weniger Milch gegeben haben.“ Der Grund dafür: eine Kuh nimmt nur rund 22 Kilo Futter pro Tag auf, und wenn es dann so richtig kalt wird, so gegen 25 Grad minus, dann wird das Futter nicht mehr in Milch umgewandelt, sondern von der Kuh zum eigenen Kälteschutz benötigt.

All das Kältewehklagen kann dem eingangs zitierten Kältefreak Reinhardt Wurzel aus Nürnberg nur ein müdes Lächeln abnötigen. „Bei unseren 20 oder 25 Grad minus gehen Bekannte von mir in Oimjakon schon mal im T-Shirt zum Rauchen vor die Tür. Und ich selbst habe es schon erlebt, wenn man bei 60 Grad minus losfährt und dann bei 20 Grad minus in Moskau ankommt, dann bekommt man schon fast Frühlingsgefühle.“ Kälte, so seine Erkenntnis, sei relativ. Der Körper gewöhne sich ganz schnell daran. Sein Tipp aus der Praxis: Mütze aufsetzen, denn der Kopf ist besonders kälteempfindlich, Handschuhe nicht vergessen, und was das Schuhwerk angeht, da dürften wir uns hierzulande etwas schwer tun mit seiner Empfehlung: Walenki-Stiefel gibt es wohl recht selten in deutschen Schuhgeschäften, dabei halten die Filzstiefel bis minus 70 Grad die Kälte hervorragend ab. Beim Einkaufsbummel im kältesten Ort der Erde gibt es die schon für zehn Dollar – und wenn es mal so richtig kalt wird, dann einfach ein wenig Pferdehaar und Zeitungspapier in die Stiefel, und die Welt ist wieder in Ordnung.